Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
haben einen Berner Sennenhund, Rudi, ein Koloss von einem Tier. Paprika mal zehn. Sie haben sich beim Gassigehen kennengelernt, freundeten sich richtig an. Der große gutmütige Fleischberg und der kleine quirlige Winzling. Zwei Tage in der Woche verbringt Paprika jetzt mit Rudi im Haus der Nachbarn, ohne jedes Problem, voller Begeisterung. Die mögen sich wirklich. Wissen Sie, wobei ich die beiden vor wenigen Tagen dort hinten in unserer Grünanlage beobachtet habe?« Dr. Genkinger zeigte auf die Büsche hinter den Häusern. »Eine beliebte Gegend für Vierbeiner, wie Sie vielleicht schon bemerkt haben. Paprika, mit seiner Herrin allein unterwegs, ein ruhiges, eher ängstliches Tier, raste wie ein junger pubertierender Heranwachsender auf alles los, was nach großem Hund aussah, je größer das Vieh, desto besser, bellte, fletschte die Zähne, markierte den starken Max, solange, bis die anderen der Provokation nicht mehr standhalten konnten und entnervt auf ihn losgingen. Und was war dann? Paprika drehte sich auf der Stelle um, raste zurück und suchte Schutz – Sie können sich denken, wo? Richtig, unmittelbar an der Seite seines großen Freundes. Der baute sich vor dem befreundeten Winzling auf, fletschte die Zähne – und alle preschten sofort wieder davon. Das können Sie genau so auf jedem Schulhof beobachten, wahrscheinlich in jeder Pause, wollen wir wetten?«
Braig hob abwehrend seine Hand. »Die Wette können wir uns ersparen. Die Situation kenne ich.«
»Willst du das Verhalten der Menschen ergründen, studiere die Tiere. Sie sind unser Spiegel. Originalzitat. Mein verehrter Professor Thalheimer damals in meinem ersten Semester. Da könnte vielleicht sogar ein gestandener Kriminalbeamter noch einiges lernen.« Dr. Genkinger warf Braig ein spitzbübisches Grinsen zu. »Kein Widerspruch?«
»Weshalb? Ich will nicht bestreiten, dass es viele Gemeinsamkeiten zwischen Tieren und Menschen gibt. Und wenn ich überlege, wozu manche Menschen fähig sind und auf welche Ursachen das oft zurückgeht … Hass, Neid, Eifersucht, verschmähte Liebe, in den meisten Fällen die gleichen Auslöser. Da unterscheidet sich der Menschenzoo sicher kaum von dem der Tiere.« Braig wurde vom Läuten seines Handys unterbrochen.
»Sie arbeiten an einem neuen Fall?«, fragte der Veterinär.
»Seit heute Morgen, ja.« Er zog das Mobiltelefon vor, sah auf dem Display, dass es sich um einen Anruf aus der Staatsanwaltschaft handelte. »Ein Toter in der Liederhalle«, erklärte er.
»In der Liederhalle?« Der Tierarzt pfiff laut durch die Zähne. »Au weh. Im Tempel der schönen Künste. Da habe ich schon manche schöne Stunde verbracht. Ohne Tiere.« Er bemerkte Braigs wachsende Nervosität, wies zum Haus. »Ich will Sie nicht länger aufhalten. Viel Erfolg.« Er winkte noch einmal, lief zur Tür.
Braig nahm das Gespräch an.
»Hier ist das Büro von Herrn Staatsanwalt Söderhofer. Ich spreche mit Herrn Hauptkommissar Braig?«, fragte eine weibliche Stimme.
Er sah überrascht auf, lief hinter dem Tierarzt her auf die Haustür zu. »Der ist am Apparat, ja«, antwortete er.
»Ich verbinde Sie mit dem Herrn Staatsanwalt«, erklärte die Frau.
Mein Gott, was wollte der schon wieder? Braig kam nicht weiter zum Nachdenken. »Söderhofer. Seit Punkt 12 Uhr warte ich auf Ihr Briefing. Kein optimales Beginning für unsere Investigations. Von erfolgreichem Teamwork kann da kaum die Rede sein. Steht es mit Ihrer Disziplin generell so indiskutabel, Herr Hauptkommissar?«
Braig verdrehte die Augen, schnappte nach Luft. Er überlegte, wie er eine Antwort formulieren konnte, die dem Mann Paroli bieten würde.
»Ihnen hat es wohl die Sprache verschlagen«, tönte es aus dem Lautsprecher.
»Gründlich recherchierte Informationen lassen sich nicht auf die Sekunde genau erstellen, das dürfte Ihnen bekannt sein. Außerdem …«
»Beabsichtigen Sie jetzt ein Brainstorming an billigen Ausreden?«, fiel Söderhofer ihm mitten ins Wort. »Oder könnten Sie sich dazu herablassen, mich an Ihrem inzwischen erworbenen Know-how bezüglich unserer Investigations teilhaben zu lassen?«
Braig spürte die Aggression in sich wachsen, kickte mit aller Kraft einen Stein zur Seite, der vor ihm aus einem Beet ragte. Der Stein donnerte an die Hauswand, prallte von dort zurück ins Gebüsch. Er versuchte, seinen Ärger zu unterdrücken und zu einer sachlichen Antwort zu finden. »Die Identität des Toten ist geklärt«, sagte er. »Es handelt sich wohl um
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