Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
einer leblosen Mumie gegenüber geglaubt, als er in ihrem Zimmer angelangt war. Lediglich ihre munteren, ihn von Anfang an aufmerksam musternden Augen hatten ihn davon überzeugt, dass er auf einen lebendigen Menschen gestoßen war. »Frau Röhm, mein Name ist Braig«, hatte er sich ihr vorgestellt, im ersten Moment ohne große Hoffnung, von ihr auch nur ein einziges Wort als Antwort erwarten zu dürfen. »Ich komme von der Polizei. Würden Sie mir bitte berichten, was Ihnen geschehen ist?« Er hatte seine Sätze laut und deutlich gesprochen, als stehe er vor einer Behinderten, die Schwierigkeiten hatte, in normale, menschliche Kommunikation zu treten. »Falls es Ihnen möglich ist«, hatte er sicherheitshalber hinzugefügt.
Die Reaktion der Frau war umso überraschender ausgefallen. »Wieso soll mir das nicht möglich sein?«, hatte sie gekontert, mit schwacher, nicht allzu gut verständlicher Stimme zwar, doch offensichtlich in jeder Beziehung im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte. »Irgend so ein Schwein hat zwar versucht, mich über den Haufen zu fahren, aber das ist ihm nicht gelungen. Nicht ganz jedenfalls.«
»Sie waren mit dem Fahrrad unterwegs?«
Sie hatte trotz ihrer Rückenlage ein Nicken anzudeuten versucht, es aber mit einem schmerzverzerrten Aufschrei sofort unterlassen. »Wie jeden Tag, ja. Mein Versuch, körperliche Fitness zu bewahren.«
»Sie fahren immer die gleiche Strecke?«
»Nicht immer«, antwortete Marina Röhm, »aber sehr oft.«
»Was ist passiert?«
»Der Dreckskerl stand in einem Waldweg. Ich nahm ihn beim Vorbeifahren kaum wahr, drehte mich erst um, als der Motor aufheulte und der Karren wie ein Verrückter auf die Straße schoss. Ich erkannte Christians Wagen sofort. Ein schwarzer 5er BMW mit zwei weißen Streifen auf jeder Seite. Das Fahrzeug für Idioten mit einem Intelligenzquotienten unter zehn Punkten. Potenzersatz für alternde Versager. Christian war schon immer stolz auf ihn. Er passt zu seinem kranken Charakter.«
»Wie ging es weiter?«
»Ich kann von Glück sagen, dass der Vollidiot so verrückt Gas gab. Daher drehte ich mich um, was sonst überhaupt nicht meine Gewohnheit ist. So merkte ich, dass er voll auf mich zuhielt.«
»Sie glauben wirklich, das war Absicht?«
»Glauben? Der hielt voll auf mich zu, oder wie würden Sie es denn formulieren, wenn so ein Dreckskerl statt auf die leicht nach links führende Fahrbahn den Lenker auf die rechte Seite reißt? Mit Glauben hat das nichts zu tun! Hätte ich mich nicht umgedreht und seine Absicht bemerkt, wäre ich jetzt nicht mehr hier. So konnte ich wenigstens noch ein Stück nach rechts auf die Böschung zuhalten, sodass mich das Schwein nicht voll erwischte.«
Die Worte waren der Frau so überzeugend über die Lippen gekommen, dass Braig auf jede Nachfrage verzichtet hatte. Ob Fakt oder nicht, sie war felsenfest der Meinung, dass es sich um einen bewussten Anschlag auf ihr Leben gehandelt hatte.
»Wer saß am Steuer des Wagens? Konnten Sie es erkennen?«
»So gerne ich Ihnen das hier erklären würde – nein. Aber es war Christians Wagen, daran gibt es keinen Zweifel. Und wer den zeitweise an seiner Stelle fährt, weiß auch jeder in Geigelfingen.«
»Michael Fitterling?«
»Das war schon immer so, dass die beiden auf den Wagen des anderen auswichen, wenn der eigene im Moment nicht zur Hand war.«
»Sie glauben wirklich, Michael Fitterling könnte versucht haben, Sie zu töten? Sind Sie sich bewusst, welche Behauptung Sie da in den Raum stellen?«
Die Antwort Marina Röhms hatte nichts an Deutlichkeit vermissen lassen. »Ich war sechs Jahre mit Christian Fitterling verheiratet. Seit fünf Jahren sind wir geschieden. Glauben Sie mir, ich kenne die Familie. Was die sich vorgenommen haben, ziehen die durch. Ohne jeden Skrupel. Christian will, oh, ich muss mich korrigieren, sein Lebensziel war es, möglichst viele Frauen flachzulegen. Haben Sie sein Haus durchsucht? Schauen Sie doch mal nach, ob Sie nicht ein Maßband finden, auf dem er die Anzahl seiner Gespielinnen notiert hat. Sie werden auf eine dreistellige Zahl stoßen. Und sein Bruder? Der hat den Wahn mit seiner Firma und deren eigenständiger Existenz. Dafür schuftet der sich noch zu Tode. Dass er andere aus dem Weg räumt, die ihn dabei hindern, ist auch mir neu.«
»Wieso sollen Sie ihm im Weg stehen?«
»Weil mir zehn Prozent der Firma gehören, ganz einfach. Christian konnte mich damals bei der Scheidung nicht auszahlen, daher vereinbarten wir
Weitere Kostenlose Bücher