Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
schrieb, hatte sich von ihm auf die Parallelen hinweisen lassen.
»Ich werde mich bemühen, heute Abend dabei zu sein«, sagte er Ann-Katrin zu, verabschiedete sich dann von ihr, um sich wieder seinen Ermittlungen zuzuwenden.
Marc Bumiller ans Telefon zu bekommen, war ihm kurz nach 14 Uhr gelungen. Er war vom Cannstatter Bahnhof direkt ins Amt marschiert, hatte dort das von Daniel Schiek erstellte Porträt des Mannes auf seinem Schreibtisch entdeckt, der gegen acht Uhr am Morgen in Esslingen vor Allmengers Haustür beobachtet worden war.
»Der Augenzeuge ist davon überzeugt, dass der Unbekannte zu unserem Opfer wollte. Er sah den Mann unten auf die Klingel drücken. Wenn wir Glück haben, handelt es sich um den Täter.«
»Dieser Augenzeuge gilt als seriös?«
»Seriös?« Neundorf hatte ihr Gesicht zu einem süffisanten Grinsen verzogen. »Na ja, seriös ist wohl das falsche Wort. Diebele, also dem Augenzeugen, werden von den Nachbarn Züge eines Blockwarts zugeschrieben. Eine Frau, die aus der ehemaligen DDR stammt, behauptete, er sei über die Vorgänge in der Umgebung besser informiert als früher die Stasi, was immer das heißen mag. Ich fürchte, wir können seinen Beobachtungen Glauben schenken. Gut für uns, dass es solche Typen gibt, auch wenn ich nicht in seiner Nähe leben möchte.«
»Dann gibst du das Phantombild an die Presse.«
»Mit der Aufforderung, der Mann solle sich bei uns melden, ja. Wir benötigten ihn als Zeugen.«
Neundorf hatte sich von ihm verabschiedet, in der Absicht, Allmenger im Esslinger Klinikum aufzusuchen, um endlich aus seinem Mund Auskunft über das Verbrechen zu erhalten. Wenige Minuten später hatte Braig Bumiller in der Leitung gehabt und mit ihm einen Termin für ein persönliches Treffen vereinbart.
»Landeskriminalamt?«, war der ehemalige Kollege Allmengers verwundert auf die Vorstellung des Kommissars eingegangen. »Was wollen Sie von mir? Ich bin gerade beruflich unterwegs.«
Braig hatte sich jeder konkreten Auskunft enthalten, den Mann stattdessen nach seinem derzeitigen Aufenthaltsort, Rottenburg am Neckar, und seiner beruflichen Tätigkeit, Versicherungsakquisiteur, befragt und ihn von der Notwendigkeit eines persönlichen Gesprächs noch am Nachmittag oder Abend überzeugt.
»Heute Mittag noch?« Bumiller hatte irgendetwas von verschiedenen Terminen gemurmelt, sich dann aber zu einem Treffen gegen 17.30 Uhr in Rottenburg bereit erklärt.
Der Treffpunkt war leicht zu finden. Braig hatte einen jener schnellen Züge gewählt, die die katholische Bischofsstadt mit nur zwei Unterwegshalten in Reutlingen und Tübingen in gerade mal einer Stunde von Stuttgart aus erreichten, war vom Bahnhof direkt über die neu gebaute, Fußgängern vorbehaltene Josef-Eberle-Brücke über das breite, seeähnlich gestaute Wasser des Neckars gelaufen, dann der schmalen Fußgängerzone bis zum Domplatz gefolgt. Mitten im Gewimmel der Menschen war er stehen geblieben, hatte – wie bei vielen Besuchen zuvor – die von jahrhundertelanger, habsburgisch-österreichischer Herrschaft kündenden, in Pastellfarben gehaltenen Fassaden des lang gezogenen Areals bewundert. Ein warmes, einladendes Gefüge mit sehr viel Atmosphäre, das dazu einlud, sich hier niederzulassen.
Kein Wunder, dass die Stühle der Lokale und Cafés auf dem Platz von zahlreichen Menschen besetzt waren. Junge Frauen und Männer mit Eisbechern, Bier- und Colagläsern, unzählige Paare, einige mit kleinen, in der Umgebung herumwuselnden Kindern, viele trotz der hohen Temperaturen mit Sommerjacken bekleidete Senioren, fast alle lauthals miteinander palavernd.
Braig schaute sich um, sah, wie verabredet, einen grauhaarigen Mann vor seinem aufgeklappten Notebook sitzen und auf dessen Monitor starren, näherte sich ihm. »Herr Bumiller?«, fragte er.
Der Mann sah auf, nickte mit dem Kopf. Braig schätzte ihn auf Ende fünfzig, Anfang sechzig, musterte sein knochiges, von ledrig-gebräunter Haut überzogenes Gesicht. Bumiller wirkte verhärmt, frühzeitig gealtert, war von mehreren tiefen Faltenpartien auf Stirn und Wangen geprägt. Mit der Gestalt auf dem Phantombild hatte er nicht das Geringste gemein.
Der Kommissar stellte sich vor, reichte seinem Gegenüber, der sich von seinem Stuhl erhoben hatte, die Hand. Bumiller war von kleiner Statur, höchstens 1,65 Meter groß, dazu auffallend dünn. Er hatte seine helle Anzugjacke über die Lehne des Stuhls gebreitet, offenbarte knochige, jedes Fettpolster und fast sämtliche
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