Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
Kontakt?«
»Nein. Ich wohne in Reutlingen. In unserem Verkaufsgebäude. Wir haben dort mehrere Wohnungen.«
»Und gestern Abend? Wo waren Sie da?«
Der Mann schien den Boden unter den Füßen zu verlieren. Er stand stocksteif vor dem Tisch, starrte mit großen Augen zu Braig hinunter. »Sie wollen wissen …?«
»Ja«, bestätigte der Kommissar, »wo Sie sich gestern Abend aufgehalten haben. So zwischen zwanzig und vierundzwanzig Uhr etwa.«
Fitterling benötigte auffallend viel Zeit, bis er zu einer Antwort fähig war. »Ich war zu Hause. In Reutlingen. In meiner Wohnung.«
»Die ganze Zeit?«
»Ja. Den ganzen Abend.«
»Und das kann jemand bezeugen?«
Er hätte sich die Antwort sparen können, Braig hatte sie, das Mienenspiel des Mannes unmittelbar vor sich, bis ins Detail geahnt.
»Nein«, erklärte Fitterling mit brüchiger Stimme, »das kann niemand bezeugen. Ich war die ganze Zeit allein.«
9. Kapitel
Der Anruf war kurz nach elf Uhr am frühen Mittwochmittag eingegangen. Der Beamte, der ihn entgegengenommen hatte, war so geistesgegenwärtig gewesen, ihn sofort an Neundorf weiterzuleiten.
Die Stimmen zweier junger Männer am Ohr, der eine unmittelbar in sein Handy sprechend, der andere offensichtlich daneben stehend und die Behauptungen seines Freundes alle paar Sekunden bekräftigend, hatte sie ihren Erklärungen skeptisch gelauscht.
»Ihr wollt mir also sagen, dass es sich bei dem Phantombild in der Zeitung um diesen Herrn Silcher handelt, der an eurer Schule in Ludwigsburg unterrichtet und ihr schwört Stein und Bein, dass ihr nicht deswegen anruft, weil ihr eurem Lehrer eins reinwürgen wollt, von wegen Rache für schlechte Noten oder zu schwere Klassenarbeiten und so?«, hatte sie ihre Gesprächspartner mehrfach ermahnt. »Ihr wisst, was es bedeutet, eine Polizeibeamtin an der Nase herumzuführen?«
»Glauben Sie, ich wäre so blöd, mit meinem eigenen Handy anzurufen, wenn ich Sie verarschen wollte? Sie haben meine Nummer doch garantiert längst überprüft.«
»Überprüft noch nicht«, hatte Neundorf erklärt, »aber sie ist registriert, das ist richtig. Gut, dann will ich euch mal Glauben schenken. Weshalb meint ihr, dass es sich bei der gesuchten Person um Herrn Silcher handelt?«
»Das habe ich Ihnen doch gerade erzählt. Weil wir ihn in der Zeitung erkannt haben, und zwar wir beide, unabhängig voneinander. Ich sehe das Bild vor mir und denke, Mensch Alter, das ist doch die Petersilie …«
»Wie bitte?«, hatte Neundorf seine Ausführungen unterbrochen.
»Wir nennen ihn Petersilie. Er heißt Peter Silcher, verstehen Sie? An unserer Schule ist er bei allen nur die Petersilie.«
»Ah ja. Du hast ihn also in der Zeitung erkannt …«
»Ja. Und genau in dem Moment, wo ich denke, Mensch Alter, das ist doch die Petersilie, fängt Jan Erik neben mir auch damit an: ›Du, Alter, mich laust der Affe, das ist die Petersilie. Ist er doch, oder?‹ Wir haben ihn beide erkannt, gleichzeitig. Am Gesicht, seiner Nase und den dicken Backen, alles typisch Petersilie. Und dann ist in dem Text darunter auch noch die Rede von einer großen, dunklen Jacke, die er trägt. Auch die kennen wir. Auf jedem Ausflug hat er die an. Seit Jahren. So eine dicke, dunkle, viel zu große Jacke. Petersilies Reizwäsche. Die kennt an unserer Schule jeder.«
»Gut, ihr scheint euch ja ziemlich sicher zu sein, was Herrn Silcher betrifft. Wisst ihr zufällig, ob er heute Morgen noch Unterricht hat?«
»Allerdings hat er das. Bei uns. Fünfte und sechste Stunde. Grundkurs Biologie. Wir warten ja auf ihn. Erste und Zweite Chemie, Dritte und Vierte hohl, weil die Kreiter auf Austausch in England ist, Fünfte und Sechste Bio bei der Petersilie. Wegen der Hohlstunden eben kamen wir auch dazu, in die Zeitung zu schauen. Sonst hätten wir ihn nicht gesehen.«
»Gut. Dann bedanke ich mich für euren Anruf. Wir kümmern uns darum. Um eines möchte ich euch allerdings noch bitten: Ihr müsst mir versprechen, mit niemand darüber zu reden, dass ihr Herrn Silcher auf dem Bild erkannt habt. Ist das klar?«
»Unser heiliges Ehrenwort.«
»Also. Ich mache mich gleich auf die Socken. Vielen Dank für die Information.«
Neundorf hatte sich den Namen und die Anschrift der Schule sowie der beiden Anrufer notiert, sich dann noch die Nummer und die genaue Lage des Raums, in dem Silcher den Grundkurs Biologie unterrichtete, schildern lassen. Ihre von Anfang an vorhandene Skepsis, die Behauptung der beiden jungen Männer betreffend,
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