Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
sie.
Endlich schien er ihr Angebot, Diskretion vor seinen Schülern zu wahren, zu begreifen. »Einen Moment, bitte.« Er lief zurück, stellte die Flasche auf der Arbeitsplatte am Fenster ab, bat die Schüler, den Raum zu verlassen.
»Ach, wir stören«, meinte eine der jungen Frauen, einen Schmollmund ziehend.
»Ein Rendezvous«, fügte eine andere grinsend hinzu.
Silcher verzichtete auf jeden Kommentar, wartete, bis alle außer Neundorf verschwunden waren, ließ dann die Tür ins Schloss fallen. Mit neugierigen Augen kam er auf sie zu. »Darf ich fragen, was Sie von mir wollen?«
Sie wies auf die zweite noch offene Tür, wartete, bis er auch sie verschlossen hatte.
»Mein Gott, das muss ja schlimm sein, was Sie mir zu sagen haben, wenn Sie so auf Diskretion achten.« Er kam zurück, ließ sich gemeinsam mit ihr in der ersten Reihe nieder.
»Roland Allmenger«, sagte Neundorf, das Gesicht ihres Gegenüber aufmerksam musternd.
Silcher wandte den Blick von ihr ab, überlegte. »Er hat bei uns Abitur gemacht?«
Sie zuckte mit der Schulter. »Keine Ahnung.«
»Es muss jedenfalls lange her sein«, ergänzte er. »Ich kann mich nicht mehr an ihn erinnern.«
»Er wohnt in Esslingen. Im Stadtteil Sulzgries, um es genauer zu sagen.«
»In Sulzgries?«
Sie sah, wie er leicht erbleichte.
»Gestern Morgen waren Sie bei ihm.«
»Ich?«, rief er laut. Er warf seinen Oberkörper ruckartig nach vorne, starrte sie mit vor Überraschung geweiteten Augen an.
»In Sulzgries«, wiederholte sie laut. »Gestern Morgen, acht Uhr. Wir haben mehrere Zeugen. Jetzt geben Sie es schon zu.«
Silcher stöhnte laut, rang um Luft. »Mein Gott, ja, in Sulzgries, ich war dort, okay. Aber, aber, weshalb …“
»Sie waren allein? Oder gibt es weitere Täter?«
»Weitere Täter?« Der Mann schüttelte den Kopf, prustete laut. »Was soll das denn bedeuten? Natürlich war ich allein. Aber mein Gott, können Sie mir mal erklären, was Sie das angeht?«
Neundorf ließ sich nicht beirren. »Allmenger. Warum?«
Ihr Gegenüber sprang von seinem Stuhl. »Was wollen Sie denn die ganze Zeit mit diesem Allmenger? Ich kann mich an keinen Schüler dieses Namens erinnern, kenne auch sonst keine Person, die so heißt. Was hat der Kerl denn mit Silke zu tun?«
»Silke? Was für eine Silke?«
»Mein Gott, jetzt tun Sie doch nicht so! Sie fragen doch die ganze Zeit nach Sulzgries. Wissen Sie jetzt Bescheid, oder nicht?«
»Silke?«, wiederholte Neundorf. »Ihre Mittäterin? Wer ist diese Silke?«
»Meine Mittäterin?« Der Mann musste an sich halten, lachte dennoch laut los. »Mein Gott, so kann man das auch formulieren, ja. Silke, meine Mittäterin.« Er drehte sich zur Seite, schüttelte immer noch lachend den Kopf. »Das muss ich ihr erzählen, das ist gut.« Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen, donnerte mit der Faust auf die Arbeitsplatte. »Ich weiß zwar nicht, was Sie das angeht und wie das bei Ihnen abläuft, aber bei mir ist das irgendwie immer ähnlich: Wenn zwei sich im Bett miteinander vergnügen, gibt es immer zwei Täter. Ja, Silke ist wirklich meine Mittäterin.«
10. Kapitel
Michael Fitterling hatte für den gesamten Abend, an dem sein Bruder dem mörderischen Attentat zum Opfer gefallen war, kein Alibi vorzuweisen – Braig war sich bewusst, was das bedeuten konnte. Die beiden Firmeninhaber waren geprägt gewesen von völlig unterschiedlichen Vorstellungen, was die Geschäftspolitik und die Zukunft des gemeinsamen Unternehmens anbetraf; Streit um den Verkauf des Betriebes; Auseinandersetzungen darüber, ob man allein durchhalten konnte oder nicht doch den Rückhalt eines großen Konzerns benötigte; Angst um das eingesetzte Kapital; Befürchtungen, im schlimmsten Fall seinen gesamten Besitz, die kompletten Lebensgrundlagen zu verlieren. Konflikte ohne Ende, noch dazu innerhalb einer Familie, zwischen zwei Brüdern. Kain und Abel? Kriminalistisch gesehen der geradezu klassische Nährboden für ein Gewaltverbrechen – wie aus dem Lehrbuch der Polizeihochschule.
»Sie haben wirklich keine Person, die Ihre angebliche Anwesenheit in Ihrer Wohnung in Reutlingen belegen kann?«, hatte Braig nachgefragt. »Kein Familienmitglied?«
Fitterling hatte nur mit der Schulter gezuckt.
»Sie sind nicht verheiratet?«
»Doch«, hatte der Mann erwidert. »Aber meine Frau ist zur Zeit bei ihrer Mutter. In Berlin. Sie ist krank, benötigt Hilfe.«
»Und was haben Sie den ganzen Abend getan?«
»Geschäftsunterlagen studiert. Das neue
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