Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie
bordeauxfarbenen
Spencerjacken an mir vorbei, um andere, ähnliche Lebensformen mit Küsschen
links – Küsschen rechts zu begrüßen.
Das ganze Lokal war eine einzige, verspiegelte
Absichtserklärung.
Man reichte mir einen Begrüßungssekt, und ich tastete in
meiner Jacketttasche nach Maaloxan, während ich versuchte, andere Gäste
jenseits des Tresens in Augenschein zu nehmen.
Links von mir tauchten zwei Frauen auf. Sie schälten sich
regelrecht aus der Finsternis, und ich konnte einen Blick in ihre Gesichter
erhaschen. Das Alter der beiden war schwer zu schätzen, da sie angepinselt
waren wie japanische Kabuki-Tänzer, aber eine von ihnen war entweder Bela
Lugosi oder meine Mutter.
Dave hätte seine Freude an dem Laden gehabt, gestand ich mir
ein, während Söhnlein keineswegs brillant meine Speiseröhre hinunter brannte
(ein Wortspiel übrigens, um das herum ich diesen kompletten Bericht konstruiert
habe).
Es war wie das Titty Twister in »From Dusk till Dawn«, nur
dass mich statt Selma Hayek mit Boa Constrictor eine Fußpflegerin
mittleren Alters erwartete, die mich zwingen würde, Eierlikör aus einem
lilafarbenen Pumps zu trinken.
Man warf mir Blicke zu, die man als Interesse an mir, aber
auch als Gier auf meine Mischhaut werten konnte.
Vermutlich war in dem Sekt ein starkes Sedativum, und wenn
ich zusammensackte, würde man mir mit der Nagelfeile die Haut aus der Fresse
schälen und irgendeiner beschwipsten Matrone vorn an den Kopf tackern. Ich
würde in den frühen Morgenstunden ohne Gesicht nach Hause kriechen, und wenn
ich später mit der Kripo zurückkäme, wäre der Laden verrammelt und verriegelt. Der
Vermieter des Blocks würde uns dann darauf hinweisen, dass »das Lokal schon
seit den Siebzigern leer steht«, und dann würden mir alle so komisch in mein
bandagiertes Gesicht sehen.
Ich erhob mich hastig.
Ich ging schnellen Schrittes zum Ausgang – gerade noch
rechtzeitig. Einige Damen hatten sich zu den beginnenden Klängen von »Blue
Bayou« auf mich zu bewegt.
Dann öffnete ich die Tür – und die Dortmunder
Innenstadtnachtluft wusch den Geruch von 4711 von mir, der sich an mir
festgeklammert hatte.
Um Eins war ich im Bett.
Ich ließ das Licht brennen.
Wenn Sie jemals durch den Fredenbaumpark gehen, und Sie
sehen einen Mann, der zu leichtem Übergewicht neigt, allein in einem Tretboot
sitzen, singend und lachend: Sprechen Sie mich nicht an.
Ich will nur mein Gesicht wahren.
Dortmund on Ice
Anspruch:
*
Metapherndichte: **
Lerneffekte:
****
Romantik:
*
Action:
**
Sex:
*
Dortmund ist die Hochburg ambitionierter Trinker. Doch,
durchaus.
Wir haben vier Brauereien, grob geschätzte sechs Millionen
Kneipen und unzählige skrupellose Kioskbesitzer, die – ungeachtet gewisser
Konzessionen – gern zulassen, dass man sich noch in direkter Nähe der
Micky-Maus-Hefte mit flachen Pullen voller Rum-Verschnitt-Verschnitt-Ersatz in
den Charles-Bukowski-Orbit schießt.
Schön ist das nicht.
Ich selbst hab auch niemals einen Tropfen getrunken – bis zu
jenem Tag, der ohne Alkohol nicht zu ertragen war.
Und ich habe viele Dinge erlebt, viele Stunden bitterster
Verzweiflung durchlitten und unfassbar viele, spontan auseinander gelebte Ex-Freundinnen
vorzuweisen – aber das war nie ein Grund, meine Hirnzellen mit Eierlikör
zu fluten.
Ich war mit Uwe, der dafür bekannt ist, morgens um Sieben
auf dem Weg zur Arbeit dieses Nervengift, Knickebein, aus Billigpralinen zu
saugen, in Lloret de Mar. Eine so genannte Roulette-Busreise. Ohne Alkohol war
es eigentlich nicht möglich, den Bus ohne abgeriebene Bandscheibe zu verlassen,
denn nur wenn man sich schrecklich betrank, konnte man bewegungslos und
ohnmächtig achtzehn Stunden im Sitz verharren wie ein chinesischer
Zirkusartist.
Ich blieb trocken.
Dort angekommen wandelte Uwe geschlagene zwei Wochen durch
ein finsteres Tal aus Sangria, »Ole – wir fahr’n in Puff nach
Batzelohna«-Polonäsen und kochendem Dosenbier.
Ich blieb trocken.
Als sich meine Freundin von mir trennte, die so sexy war,
dass selbst meine Mutter behutsam fragte, wie es eine Frau diesen Kalibers mit
einem Penner wie mir ausgehalten hatte, blieb ich trocken. Schmerz verschärfend
hörte ich My Way , fraß Schokolade und schrieb Liebesbriefe, die ich
anschließend schredderte,
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