Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie
aber ich fasste keine Flasche an.
Eines Abends klingelte sie, und sie war schön wie ein Traum.
Sie lächelte mich an. Ich lächelte zurück.
Dann sagte sie mir, sie würde sich mit einem gewissen
»Giacomo« verloben, und wenn ich auf die Feier kommen wolle, solle ich erstens
Geld statt ein Geschenk mitbringen, zweitens duschen. Dann ging sie.
Ich blieb trocken.
Dann kam der Tag, der alles veränderte.
Ich erwachte im Zentrum meiner etwas verwahrlosten
sechsundsechzig Quadratmeter; Auslöser war das nervende Morsen meines
Mobiltelefons, das eine Nachricht und somit Arbeit beziehungsweise Bewegung
ankündigte; zu dieser Zeit war beides das Gleiche für mich.
Meine Nichte hatte mir eine vermutlich entzückende Bild-SMS
geschickt, die mein dampfbetriebenes Vorkriegsnokia nicht anzeigen konnte, also
rief ich zurück.
Ich vernahm die dröhnend-rechtschaffende Stimme meines
Bruders. »Die Kinder haben Freikarten.«
»Schau an«, sagte ich. »Wofür?«
Es folgte eine blumige Ausschmückung meiner pädagogischen
Talente, womit er an meine bedingungslose Opferbereitschaft gegenüber der
Familie appellierte – aber wofür es Freikarten gab, sagte er mir nicht.
Ich habe mit den Kindern, die eigentlich zwergenhafte,
referierende Atomphysiker in Benettonklamotten sind, viel unternommen. Für die
beiden prellte ich mir im Dortmunder Ikea den Steiß, als ich auf Socken in
einem Raum voller lustiger Plastikbälle stürzte. Ich war mit ihnen auf dem
Dortmunder Fernsehturm. Während übellaunige Matronen Waffeln zu vier Euro das
Stück an uns verschacherten, starrte ich in die Tiefe. Ich habe Höhenangst
hitchcockschen Ausmaßes, und die mintfarbenen Uniformen der drallen
Rentnerinnen waren meinem Wunsch, im freien Fall dem Boden entgegen zu rasen,
nur zuträglich.
Ich war sogar auf der Konfirmation der Ältesten, und meine
»Der Exorzist«-Premium-DVD-Box legt Zeugnis davon ab, dass ich nicht der
Frommste unserer Familie bin. Trotzdem hockte ich mit starrem Lächeln inmitten
einer Gruppe bürgerlicher Spitzenkragen und Motivkrawatten, während in meiner
Phantasie Linda Blair kopfrotierend »Idiot!« schrie.
Aber das alles war nur der Zuckerguss auf dem Kuchen der
Verdammnis, wie sich herausstellte.
Die Sonne hatte meinen schwarzen Ibiza in eine finnische Sauna
verwandelt; es war so heiß, dass mein Armaturenbrett und die darauf
befindlichen Rammstein-CDs wie eine Skulptur von Giger aussahen. Ich entfernte
sie mit meinem Taschenmesser, flutete den Innenraum mit Kälte und rief mir die
Grundregeln des Straßenverkehrs ins Gedächtnis.
Das war erforderlich, weil meine Nichten vorzugsweise Peter
Lustig hören wollten, und ich dann stets den Wunsch verspürte, Auto zu fahren
wie Thelma und Louise in der Schluss-Sequenz des Films.
Ich hätte stutzig werden sollen, als ich die Sweatshirts der
Kleinen sah.
Es waren Dämonen darauf. Die Schreckgespenster jeden
Mannes und jeder Frau, die sonntags um fünfzehn Uhr einfach nur rauchend
rumlümmeln wollen, statt den Gegenwert eines Mittelklassewagens in Popcorn und
Kinokarten zu investieren. Auf dem einen Shirt war Arielle , auf dem
anderen eine Figur aus Die Schöne und das Biest .
Eine eisige Hand umklammerte mein Rückgrat.
»Wohin fahren wir?«
Meine Stimme hatte etwas Schrilles, stellte ich fest.
Sie würden mich ins Kino schleifen; mit etwas Glück war es
nur der Film dieser klugscheißenden, zaubernden Brillenschlange.
»Zu Disney On Ice«, flötete es von hinten.
Ich Narr. Wähnte ich mich doch noch vor Sekunden in
trügerischer Sicherheit, lediglich in Schwaden von Weingummiduft eingehüllt im
Dunkel sitzen zu müssen – und nun das.
Der Irrsinn auf Kufen. Der Sensenmann meiner geistigen
Gesundheit hatte sich Glitzerschlittschuhe übergestreift.
Ich entwickelte augenblicklich einen starken
Kain-und-Abel-Komplex zu meinem Bruder, den ich noch am gleichen Tag würde
therapieren müssen – falls dieser Tag ein Ende nahm.
»Schön«, sagte ich tonlos.
»Legst du uns die CD ein?«
Die silberne Scheibe wanderte von hinten in meine Hand; ich
vermied es, sie anzusehen.
Wenig später parkte mein Auto inmitten einiger Hundert
Familienwagen, die mitunter einen Saug-Garfield aufwiesen, meistens aber
prophezeiten, dass ich gleich »Kevin, Merlin, oder Lavena-Mareen« treffen
würde, die sonst vernünftigerweise »an Bord« gefangen gehalten wurden. Der
Grund dafür musste sein, dass all diese blumigen Namen üblicherweise
ruhrgebietstypisch mit
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