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Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Titel: Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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ich.
    Er beugte sich so weit vor, dass ich zuerst dachte, er wolle
mir die Nase abbeißen, und ich wappnete mich, den Erstschlag auszuführen –
obwohl mir der Gedanke, ihm seinen alten Zinken aus dem Gesicht zu zerren, mild
zuwider war. Biblische Zitate wirbelten durch mein auf Reststrom laufendes
Hirn, irgendwas mit »Nase um Nase« und »wenn er zuschnappt, halt ihm noch was
hin, was eben so da ist, Kollege«, oder so ähnlich.
    Stattdessen sagte er:
    »Bist du einer von uns?«
    Fuck.
    »Ich«, meine Faust krachte auf meine Brust, »Kunde!«
    »Bist du ein Spion? Kommst du von drüben, du kleine Sau?«
Wenn er mit »drüben« das Haus meiner Oma meinte, ging das klar – aber irgendwas
in seinem Funken sprühenden Blick sagte mir, dass er wohl eher an einen Ort
dachte, an dem waffenstarrende Donkosaken unaussprechliche Dinge mit
Schäferhunden taten, während sie »Kakalinka« grölten und Farbverdünner tranken.
    »Ich bin kein Spion. Ich brauche einen Knopf, bitte. Sieht
aus wie ein Frolic, etwa …«
    »GENAU WIE MATA HARI, DIE NUTTE! SCHLEICHST DICH HIER REIN,
FASELST WAS VON KNÖPFEN, WILLST ABER NUR AUSHORCHEN WIE WEIT DIE VORBEREITUNGEN
ZUR BEFREIUNG DER FREIEN WELT SIND!«
    »Ich bin echt keine Nutte. Und eine freie Welt zu befreien
erscheint mir …«
    »ES REICHT, BOLSCHEWIKENSCHWEIN! HASSO!«
    Ich hörte ein massiges Schaben aus dem Dunkel, gefolgt von
einem Geräusch körperlichen Unwillens, das mich an die alten Godzilla-Filme
erinnerte.
    Ich hätte gern einen Frolic dabei gehabt. Oder einen
Zentner.
     
    Das Schaben kam aus einer entlegenen Ecke nahe der
Dekoration mit den ausgestopften Enten, die vage an bekiffte Disney-Flamingos
erinnerten. Von meinem Platz sah es so aus, als hätte der Präparator für die
Augen Lakritzbonbons vom Dortmunder Weihnachtsmarkt verwendet, die vermutlich
täglich mit Spucke angefeuchtet werden mussten.
    Ein riesiger Schatten schälte sich aus der Finsternis und
warf die Silhouette einer unglaublichen, monströsen Kreatur an die Tapete.
    Hatte der Hirschkopf an der Wand gegenüber die Augen
verdreht?
    Die Bestie kam ins Licht, allerdings nicht mit einem Satz.
    »Hasso! Fass!«, brüllte der Alte, und sein gelber
Zeigefinger wies auf einen Punkt meiner Kehle.
    Hasso war früher, bevor die Fleisch verarbeitende Industrie
mit Sack und Pack in seinen Leib eingezogen war, um dann unverzüglich die
Arbeit einzustellen, ein Dackel gewesen.
    Nun war er eine art pelziger, verfetteter Alligator mit
trüben Augen, und weil sein Hals so unglaublich feist war, passte ihm kein
Halsband mehr. Irgendwer hatte seinen Namen mit Schneiderkreide auf seinen Kopf
geschrieben.
    Hasso war die haarige, stummelbeinige Muppet-Variante des
Bullen von Tölz, und nur mit einem Gabelstapler hätte er es bis an meine Kehle
geschafft.
    Die Sirene in meinem Kopf verstummte.
    »Hören Sie: Knopf. Einen. Bitte«, sagte ich, während mir das
Adrenalin in die Füße sackte, um dort bis zur nächsten Todesgefahr
herumzuscharwenzeln.
    »Ich führe keine Knöpfe. Versuchs bei Karstadt.«
    »Ha«, sagte ich, »da war ich schon. Die haben mich
hergeschickt.«
    »So was«, murmelte er, und dann, als ich ihm gerade »was ist
das denn hier für ein beschissen ausgestatteter Laden?« reindrücken wollte,
ertönte das Jagdhorn.
     
    »Hast du den Knopf?«, fragte meine Oma, während sie einen
typischen Rentnereintopf umrührte: Schwarzwurzeln, Schweinefuß, Erbsen und
Möhren.
    »Nee, sorry. Hatten keine.«
    »Dann gib mir das Geld zurück«, sagte sie und drehte sich zu
mir um, worauf sie augenblicklich erstarrte.
    »Ich war irgendwie gezwungen, es auszugeben. Tut mir leid,
echt.«
    Das Waldhorn hatte des Alten Tochter gebracht.
    Sie hatten mich – nun zahlenmäßig überlegen – auf der
Toilette eingekesselt, indem sie Hasso vor die Tür rollten; dann hatten sie
mich unter der Bedingung freigelassen, dass ich etwas kaufte. Ich hatte einen
Hunderteuroschein.
    Ich erinnere mich noch an die zittrigen Hände der Tochter,
die blitzenden Nadeln und an ihre Worte:
    »Ich steck das mal fest.«
     
    »Wieso bitte hat das denn sechs Stunden gedauert? Und was
zum Teufel hat hundert Euro gekostet? Und was ist das für ein grässliches
Ding?«, fragte meine Oma.
    »Ein bisschen mehr Respekt«, erwiderte ich leise, »der geht
nicht ab. Festgesteckt. Außerdem: Du siehst ja wohl, wie ich nun heiße.«
    Torsten von Eschnapur.
    So steht es zumindest auf dem Turban.
     

  III
    Die E-Files

Erwin: Der

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