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Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Titel: Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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Spendest du an Brot für die Welt? Was sollen die
damit? Wie viel Toast kann denn einer ohne Aufschnitt runterwürgen? UNFUG!«
    »Jetzt reicht’s, Erwin«, dozierte ich. »Zu spenden ist
niemals Unfug.«
    »Du solltest mal ein ruhiges, besinnliches Silvester feiern,
statt mit deinen Freunden Rambazamba zu machen«, ignorierte er meinen Einwand,
»dann lernst du mal Demut.«
    »Mach ich«, antwortete ich automatisch.
    »Gut, abgemacht«, rief Erwin.
     
    Ich versuchte noch am selben Abend mit einem Lötkolben durch
mein Ohr zu stoßen, um den dämlichen Teil meines Hirns zu veröden, der für
diese Zusage verantwortlich war; dann tröstete ich mich damit, dass Erwin es
vergessen würde.
    Ich irrte mich.
     
    »Okay. Deine Entscheidung«, sagte Uwe und legte auf.
     
    »Du hättest es Onkel Erwin nicht versprechen dürfen«, hob
meine Mutter den Zeigefinger, und ich unterließ es, ihr zu erklären, dass Erwin
mich in bester Heckenschützenmanier in einen Hinterhalt gelockt hatte, als mich
für einen Moment die Sonne blendete.
    Ein einziger Abend im Jahr, sagte ich mir. Ein einziger
Abend.
    Mochte doch Uwe »Hells Bells« auflegen, während ruchlose
Luder einen »Miss Götterspeise in Hotpants«-Contest durchzogen …
    Ich schlug mir hart gegen den Kopf, aber nicht annähernd
hart genug: Ich konnte immer noch denken.
    Sehr schlechte Voraussetzungen für den Abend.
     
    Das Ensemble der Gestörten vervollständigte sich, als ich
Schlag zehn abends an Onkel Erwins Tür klingelte. Während ich darauf wartete,
dass man mir öffnete, erblickte ich die Kreidespuren, die Kinder an
Allerheiligen an den Türen hinterließen und die üblicherweise kryptisch waren.
    »PeRveRSe SAu!«, stand da stattdessen, aber bevor ich durch
die Zähne pfeifen konnte, öffnete sich die Tür und eine klobige Matrone stand
vor mir.
    »N’Abend«, sagte ich in ein mir völlig fremdes und
flächendeckend abgepudertes Mumiengesicht, und erhielt den Anblick ebenmäßiger
Kunststoffzähne zur Antwort.
    »Erwin macht gerade Bowle. Möchtest du ablegen?«
    »Nicht wirklich«, sagte ich, da ich »ableben« verstanden
hatte.
    Ich marschierte im Mantel in Erwins Wohnzimmer, und mich
traf, wie bei allen seltenen Anlässen, zu denen er in sein Refugium lud, ein
nachhaltiger, aber nicht tödlicher Hirnschlag.
    Eigentlich war es eher, als würden meine Sehnerven den
Anblick nicht verarbeiten können; es war, als würde man versuchen, einer
Daumenkino-Variante von »Lawrence von Arabien« zu folgen: Die Augen und das
Hirn spielten einfach nicht mit.
    Das Wohnzimmer wurde nur von einer imitierten Tiffanylampe
erleuchtet, deren Sockel eine Art Hirsch (es konnte aber auch ein Bantha, das
Reittier der Sandleute aus Star Wars sein) darstellte. Die Tapete wies
ein braungelbes Muster auf, das sich hervorragend auf einem Apfelstrudel
gemacht hätte, an den Wänden aber ein Gefühl geistigen Wundseins auslöste; der
Bauernschrank in der Ecke war bunt wie das Gesicht eines Pavians, aber das
ausgesägte Herz im Zentrum der Tür ließ einen trotzdem intuitiv an ein
Scheißhaus aus einem Farbfilm mit Theo Lingen denken.
    Überall an den Wänden hingen gehäkelte Sinnsprüchlein mit
absurd verschwurbelter Schrift, von denen »Wer versucht sich was zu pumpen,
kriegt in die Fresse meine Stumpen« noch der harmloseste war. Ich ließ den
Blick kurz über die Häkelbilder schweifen und prägte mir für Notfälle ein, dass
sich »Hämorrhoiden« auf »dahingeschieden« reimt.
    In der ganzen Wohnung hing ein seltsam beißender Geruch,
dessen Quelle ich nicht ausmachen konnte.
    Erwin und seine Gäste – Polenwerner, ein mir völlig
unbekanntes Ehepaar, meine Oma und die Dame, die geöffnet hatte – hockten um
einen runden Tisch in der Mitte des Raumes, und eine Sekunde lang dachte ich,
der Tisch wäre so platziert, damit der grell kreischend farbige Teppich nicht
entkommen könne, um zurück in die Welt von David Finchers geplanter
Neuverfilmung von »Aladin« zu flüchten.
    Sie löffelten eine Art klare Suppe, und aus den
Lautsprecherboxen schallte »Der lachende Vagabund«.
    »Hallo zusammen«, sagte ich, und Erwin produzierte in seinem
Bemühen, seinen Stuhl zurückzuschieben, eine fürchterliche Beule in Finchers
Teppich.
    »Hallo, Junge. Wir essen gerade Fischsuppe. Auch einen
Teller?«
    »Klar. Aber bitte nicht füllen«, konterte ich. Der brillante
Witz versickerte allerdings unkommentiert in addiertem zweihundert Jahre altem
Ohrenschmalz.
    Dann tauchte kurz ein Mädchen

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