Bran
geregnet. Irgendwann trocknen auch eure Brunnen aus!«
Kundali erwiderte darauf nichts.
»Zhids Rotationsachse ist nur um fünf Grad gegen die Ekliptik geneigt«, erklärte Straner. »Deshalb kommt die innertropische Konvergenz nur einem äußerst schmalen Streifen zugute. Es ist ein Wunder, dass es überhaupt Passatregen auf diesen Längenkreisen gibt, so weit, wie der Ozean entfernt ist.«
In Kundalis Miene rangen Ungeduld und Unverständnis miteinander.
»Rankors Achse weist dagegen eine Neigung von über dreißig Grad auf.« Es war Straner bewusst, dass seine Geliebte das nicht hören wollte. Eben deshalb fuhr er in seinen Ausführungen fort. »Wir profitieren davon beispielsweise in Form der langen Nachsommer, die das kontinentale Klima mildern, vor allem in den hohen Breiten der Nordhalbkugel, wo Rangkor-Stadt liegt und sich ein Großteil der Industrie befindet.«
»Es geht nicht um Wasser.« Sie sprach so leise und düster, dass ihm klar wurde, wie dicht er an ein Tabu gerührt hatte.
»Worum denn dann?«
»Ihr denkt so hart, so nackt, so – mitleidlos.« Zum ersten Mal seit den Nächten der vollkommenen Hingabe stand etwas zwischen ihnen. Ein falsches Wort, eine unausgewogene Betonung, und die Unterschiede zwischen ihnen traten schneidend zutage wie ein jahrtausendealtes Petroglyph mitten in der Wüste, wenn der Wind den Sand wegblies.
»Vermutlich könntet ihr berechnen, wie viele – Kubikeinheiten der Monsun im Laufe eines Sommers in die Stadt bringt.«
»Ich bin mir sicher, dass man das recht genau beziffern könnte.«
»Aber darum geht es nicht!«
»Erklär es mir.«
Er fasste ihre Hand, die scheu vor ihm auf und ab geflattert war wie eine balzende Sandlerche. Ihre nackten, sonnengebräunten Arme hatten sich aus einer Öffnung des weiten serafidischen Gewandes gestohlen wie zwei übermütige Buben, die hinter dem Rücken ihrer Eltern unanständige Grimassen machten.
»Es geht um Reinheit«, sagte sie. »Wasser ist Reinheit. Die Stadt ist ein Ort der Sünde, deshalb bedarf sie einmal im Jahr der Reinigung. Die Wüste ist ein heiliger Ort. Alles hier ist rein. Deshalb regnet es hier nie. Es ist nicht nötig.«
Straner schwieg. Wie schön sie war, wenn sie ernst war!
»Es hat nichts mit Sauberkeit, Hygiene, Kanalisation zu tun.« Kundali wirkte traurig, weil sie nicht sicher war, ob er sie verstand. »Ich bin überzeugt, dass Rangkor-Stadt viel sauberer ist als Zhid. Dennoch ist eure Welt in unseren Augen unrein.«
»Lass Rangkor aus dem Spiel«, sagte er, vielleicht eine Spur zu harsch. »Mich interessiert etwas anderes.« Er legte die Hände um ihre Oberarme, und diese schlichte Berührung ihrer bloßen Haut versetzte ihn schon wieder in Erregung. »Am Abend unserer feierlichen Vermählung wuschen dich die Mädchen.«
Kundali nickte.
Sie sah, dass er verstanden hatte.
»Am Mädchen, sagt man bei uns, ist alles rein. Wenn die Jungfrau zur Frau wird, verliert sie einen Teil dieser Reinheit. Deshalb waschen wir den Mädchen den Mund und das Geschlecht, ehe sie zum ersten Mal empfangen. Es ist eine vorweggenommene Abbitte.«
»Du hast nicht zum ersten Mal empfangen.«
»Du hast meine Reinheit schon in der Stadt gepflückt.« Sie lächelte versonnen, als sie sich für einen Augenblick ihren Erinnerungen überließ wie ein ausgerissenes Blütenblatt einem leichten Windhauch. »Umso dringender hatte ich die Reinigung nötig.«
»Es war nicht nur Wasser!« Er hatte den süßen Geruch noch in der Nase und auf dem Gaumen. Er durchzitterte ihn auch jetzt wie ein elektrischer Strom.
»Es ist Tiefenwasser aus den ältesten und tiefsten artesischen Brunnen, deren Lage nur wenigen Frauen im Stamm bekannt ist. Dieses Wissen wird von der Mutter auf die Tochter vererbt.« Sie spitzte die Lippen. »Und ein Tropfen der Essenz aus den Blüten des Lederkaktus. Du weißt, was sie bewirkt.«
Er wusste es. »Und die Frau?« Straner beeilte sich, wieder einen sachlicheren Tonfall anzuschlagen. Dabei hatte er die ganze Nacht ihre Gegenwart genossen. Aber es kam ihm vor wie ein Trinken, das den Durst verschlimmerte.
»Bevor die Frau niederkommt, wäscht man ihr Bauch und Brüste, denn in der Geburt wird sie wieder einen Teil ihrer Reinheit einbüßen. Manchmal wäscht man ihr auch den ganzen Körper mit Ausnahme des Munds, des Geschlechts und der Augen.«
»Der Augen?«
»Die Augen wäscht man dem Sterbenden. Denn im Tod wird er sehend werden. Der Tod ist ein zweites Empfangen. Er macht die Augen unrein
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