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Bran

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Titel: Bran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Falke
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Elektrizität frei. Waagerechte Blitze verbanden Knäuel von Schwarz. Auch zwischen den Antennen und Stahlspitzen der höchsten Türme fädelten knisternde Schnüre aus purer Energie. Als hätten rivalisierende Nomadenstämme sich dort verschanzt und lieferten sich ein Gefecht, hoch über den Köpfen der Passanten hinweg. Fernes Grollen und Donnern mischte sich unter die Erschütterungen der Untergrundbahn, die in regelmäßigen Abständen das Pflaster erbeben ließen. Versprengte Böen lugten um die Bollwerke der Wohnsilos und zogen sich wieder zurück wie Räuber, die zu früh aus einem Hinterhalt nach vorn geprescht waren.
    Straner ging ein paar Blocks zu Fuß. Das aufgewühlte Wetter entsprach seiner Stimmung. Er wusste, dass er die ganze Nacht nicht zur Ruhe kommen würde. Dann wurde er doch müde. Und der Durst machte es immer schwerer, den Gedanken an sein kühles Zimmer und die frisch gefüllte Bar zu unterdrücken. Zhid City war einfach zu groß. Er konnte stundenlang gehen, ohne seinem Ziel wesentlich näher zu kommen. Er suchte den nächsten Zugang zur U-Bahn und stand wenige Minuten später vor den hell erleuchteten Gebäuden der Plaza, die für ihn schon beinahe zu einer zweiten Heimat geworden waren.
      
    Die Infantin gab sich heute konziliant. Sie schien ruhiger. Zumindest spähte sie nicht alle paar Augenblicke nach der Zeitanzeige ihres Handgelenkstattoos. Statt in einen Sportdress war sie in einen eleganten Büroanzug gekleidet, ein dunkelblauer Zweiteiler, in dem sie sogar die elegante Cejla ausstach. Auch das Haar hatte sie streng zusammengefasst, als wollte sie der Serafidin etwas streitig machen. Straner fiel auf, dass sie in dieser Aufmachung gut eine Serafidin hätte sein können. Aber das war nur eine Sache der Verkleidung. In kirgolischer Tracht wäre sie ebenso als Nomadentochter durchgegangen, und im jugendlichen Speedball-Outfit war sie einfach nur eine neureiche Erbin einer x-beliebigen Oberschichtfamilie.
    Der Wunsch brach in ihm durch, sie nackt zu sehen. In den Träumen hatte er sie in den Armen gehalten, jenen Träumen der ersten Nächte, die ihm so fern und fantastisch vorkamen wie sein Aufenthalt auf Rangkor, der acht oder zehn Tage zurücklag. Eine junge Frau, wenn auch reifer als die Unschuld, die sie ausstrahlte, hoch gewachsen, eher schlank als üppig und mit dem samtig braunen Teint eines Wüstenvolkes.
    »Und?«
    Sie hatte Platz genommen, die Beine übereinandergeschlagen, die Hände geschäftsmäßig ineinandergelegt.
    »Was habt ihr herausgefunden?«
    Straner ging bereitwillig auf den unterkühlten Ton ein.
    »Wir haben ein Schema angelegt«, sagte er mit einer Handbewegung zu Cejla, die ihn als Assistentin begleitete. »Stadtteile, Kasten, ethnische Zugehörigkeiten.«
    Kundali hob die zu schmalen Bögen ausrasierten Brauen.
    »In dieses Schema tragen wir nun alle Informationen ein, die wir in der Feldforschung gewinnen.«
    Er fragte sich, ob das auf sie ironisch oder absurd wirken mochte. An der Universität von Rangkor-Stadt hätte man ein Briefing so beginnen können, ohne sich verdächtig zu machen.
    Auf der Stirne der Infantin las er die Gewissheit, an einen Verrückten geraten zu sein. Sie hielt jedoch still. Ob ihr Vater sie ermahnt hatte, in der Sache guten Willen zu demonstrieren, oder ob sie eigene Interessen dabei verfolgte, konnte für den Augenblick ruhig offenbleiben.
    »Es ist noch nicht viel. Wir stehen erst am Anfang.«
    Kundali blickte ihn abwartend an. Er ließ sie einige Sekunden zappeln.
    »Und – worum geht es da?«, fragte sie schließlich.
    »Es ist interessant.« Er ließ die Tabellen, die sein Tattoo erzeugt hatte, wieder verschwinden, um zum freien Vortrag überzugehen. »Es gibt mehrere Dutzend Beinamen für Senator Richards. Der Abtrünnige, der Verräter, der Attentäter. Der Fremde. Auch die Zuschreibungen, wie er zu dieser Ehre gekommen sein mag, schießen ins Kraut und gehen weit auseinander. Es wäre verfrüht, daraus irgendwelche Spekulationen abzuleiten. Aber eines steht fest: Richards existiert. Und er war hier!«
    Die Prinzessin kaute auf der Unterlippe.
    »Die Kinder machen Verse auf ihn, Abzählreime. In ihren Spielen ist er der Böse, der Verbrecher. Das ist doch aufschlussreich.«
    »Aha.«
    »Die Erwachsenen verwenden den Namen als Schimpfwort und als Fluch.«
    »Gut.« Es gelang Kundali nur schlecht, Faszination für diese Materie zu heucheln. »Was habt ihr noch?«
    »Ähm.« Straner legte eine weitere Kunstpause ein.

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