Brandbücher - Kriminalroman
welches Haus es sich handelt oder wie Ihre Großtante heißt«, bat er und erhob sich. Als er vor einem Regal stand, fragte er: »Befindet sich das Haus in der Innenstadt?«
Karina nickte. Sie überlegte fieberhaft, wie die Adresse des Hauses lautete. »Das Haus steht mitten in der Stadt. Es ist schon ziemlich alt«, erklärte sie.
»Mhm«, gab der Mann zurück, während er eine dicke Mappe aus dem Regal zog. »Ein bisschen genauer müsste ich es schon wissen.«
Karina stellte sich die Straße vor. »Direkt in der Fußgängerzone«, fiel ihr dann ein. »Es soll wohl demnächst abgerissen werden, wenn ich das richtig verstanden habe.« Sie wippte mit dem Bein, das sie über das andere geschlagen hatte, wie sie es immer tat, wenn sie nervös war. »Ach, die Vennestraße«, murmelte Klaus Westerburg. Er setzte sich wieder hin und schlug die Mappe auf, die er auf seinen Schreibtisch gelegt hatte. Eine Weile war nur das Rascheln der Seiten zu hören, die er in der Mappe umblätterte. »Die Stadt hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert. Ist nur noch zum Teil so wie vor dem Krieg«, bemerkte er zwischendurch.
»Was ist mit dem Haus?« Karina beugte sich vor und versuchte, in den Akten etwas zu erkennen.
»Möglicherweise hieß die Straße früher anders«, erklärte Klaus Westerburg, nachdem er die Akte langsam durchgeblättert hatte.
»Aber irgendetwas muss da doch stehen?« Karina wollte sich nicht so schnell abwimmeln lassen. »Schauen Sie doch unter dem Namen meiner Großtante nach. Sie hieß Katharina Bessling.« Karina blickte den Archivar hoffnungsvoll an. Er wandte seinen Blick rasch von ihr ab und blätterte noch einmal, viel schneller dieses Mal, die Unterlagen durch.
Karina schien es, als bliebe sein Blick auf einem Blatt länger hängen. Auf ihre erneute Bitte sagte er jedoch nur: »Da muss ich meinen Kollegen vom Grundbuchamt fragen, aber der hat heute Urlaub.«
Karina war verwirrt. Seit sie den Namen ihrer Großtante erwähnt hatte, war der Mann wie ausgewechselt. Sie unternahm einen letzten Versuch. »Bitte schauen Sie doch noch einmal. Es gibt ja sicher nicht Hunderte Besslings und schon gar nicht so viele Katharina Besslings.«
Der Archivar schüttelte den Kopf, ohne Karina anzusehen. »Katharina ist kein seltener Name«, sagte er abweisend. »Was glauben Sie, wie oft der Name im letzten Jahrhundert vergeben wurde. Erst vor Kurzem gab es hier bei uns eine Studie über die Häufigkeit der Vornamen in unserer Region. Ungeheuer spannend, ich kann Ihnen gerne eine Kopie des Aufsatzes machen, der demnächst im Jahrbuch des Kreises darüber erscheinen wird. Und der Name Bessling. Ach, die ing-Namen gehören doch quasi hier in die Stadt.«
Karina hörte sich seine Litanei an. Als er Luft holte, bat sie ohne große Hoffnung auf Erfolg: »Darf ich selbst in die Mappe schauen?« Wie sie erwartet hatte, lehnte der Archivar ab. Mehr noch, er zog die Mappe zu sich heran, als müsste er sie vor Karina schützen und schloss sie in einer Schublade ein.
Karina begriff, dass der Leiter des Stadtarchivs ihr nicht mehr helfen wollte. Was hatte er in der Mappe entdeckt?, fragte sie sich. Und warum hat der Verleger sofort nach meinem Besuch mit ihm telefoniert. Gleichzeitig spürte sie, wie ihre Neugier wuchs. Bereits als Kind wollte sie alles wissen; vor allem das, was man vor ihr verbergen wollte, hatte sie besonders gereizt. Ihre Eltern hatten das irgendwann begriffen und ihr Zigaretten und Alkohol angeboten, statt beides zu verbieten. Diese Methode hatte gewirkt, Karina hatte nie geraucht und trank wenig Alkohol. Pech für den Archivar, dass er diese Methode nicht kannte. Hätte er Karina ein kleines Informationsbröckchen hingeworfen, hätte sie sich möglicherweise zufrieden gegeben. Aber so würde sie nicht locker lassen.
*
Samuel packte die alte braune Tasche, in der er seine Unterlagen zur Uni trug. Sorgfältig schob er den Füllfederhalter, den sein Vater ihm zum Abitur geschenkt hatte, in das Stiftfach der Tasche. Er wusste, dass sein Vater nicht viel verdiente und sich den Stift förmlich vom Mund abgespart hatte. Er selbst hatte nie hungern müssen. All seine Lieblingsspeisen hatte Katharina ihm gekocht. Dabei hatte er den Verdacht, dass sein Vater nichts oder nur ein Stück trockenes Brot gegessen hatte, wenn er in der Schule war.
Samuel sah sich nach seinen Kommilitonen um. Aaron, mit dem er zusammen lernte, war anscheinend schon vorgegangen. Merkwürdig, dachte Samuel. Sonst wartete er
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