Brandbücher - Kriminalroman
allem mit ihr sprach und Jenny nur gelegentlich mit einem freundlichen Blick streifte. Sie gab sich Mühe, ebenso aufreizend zu lächeln wie ihre Freundin. Doch dann ließ sie es. Sie hatte keine Zeit, sich mit ihrer Freundin um einen Mann zu streiten. Es gab eine Drohmail und die war längst nicht so harmlos wie die Versuche, sie im Verlag und im Stadtarchiv abzuwimmeln. Im Gegenteil, sie rückte die Versuche von Jo Tengelkamp und Klaus Westerburg in ein ganz anderes Licht.
»Sagen Sie, Herr Kleine, wissen Sie zufällig, ob sich Jo Tengelkamp und der Stadtarchivar kennen?« Karina sah den Pfarrer neugierig an. Das würde erklären, warum Klaus Westerburg plötzlich so abweisend wurde, nachdem er die Akte über das Haus ihrer Tante durchgesehen hatte.
Martin Kleine zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht sind sie zusammen im Schützenverein. Ich versuche das herauszufinden«, versprach er.
»Dieser Jo Tengelkamp hat mich gebeten, ihm die Postkarten zu zeigen. Ich habe versprochen, mich wegen eines Termins zu melden.« Karina sah die beiden anderen fragend an. »Was meint ihr?« Jenny lehnte sich zurück. Karina kam es vor, als lauerte sie auf die nächste Gelegenheit, sich Martin Kleine in Erinnerung zu bringen, da sie über Jo Tengelkamp nichts sagen konnte. »Das war merkwürdig. Als er Tante Katharinas Namen hörte, wurde er aufmerksam. Zuerst schienen die Karten ihn nicht zu interessieren«, ließ sie das Gespräch Revue passieren. »Als ich dann erwähnte, dass die Karten beschrieben sind, kam es mir vor, als wollte er die Karten unbedingt haben. Ob er eine Story wittert oder etwas anderes dahintersteckt, das ist mir nicht so ganz klar.«
»Vielleicht sucht er nur nach einer tollen Geschichte. Es passiert nicht jeden Tag, dass 80 Jahre alte Postkarten gefunden werden«, sinnierte der Pfarrer und griff nach den Blättern, die Karina niedergeschrieben hatte. Dann grinste er. »Am besten Sie gehen mit diesen Blättern zu ihm. Da steht nichts drin, was sie nicht veröffentlichen könnten. Dann sehen Sie, wie er reagiert.«
Die Idee gefiel Karina. »Das mache ich«, stimmte sie zu, »und Jenny kommt mit, vier Augen sehen mehr als zwei.«
Jenny horchte auf, als sie ihren Namen hörte. »Klar, mache ich das.« Dabei sah sie jedoch nicht Karina, sondern Martin Kleine an.
Karina verdrehte die Augen. Langsam ging ihr Jennys Verhalten auf die Nerven und sie fragte sich erneut, ob es wirklich eine gute Idee war, sie herzubitten. Aber da war sie Martin Kleine auch noch nicht begegnet.
»Ich sollte jetzt gehen.« Der Pfarrer sah auf die Uhr und stand auf. »Ein paar Stunden Schlaf wären nicht schlecht, ich habe morgen schon früh eine Beerdigung.« Er stockte und dachte nach. »Wie wäre es, wenn Sie zu dem Begräbnis kommen?«, fragte er. »Es wird einer der Bewohner des Seniorenheims beerdigt. Da kommen sicher viele ältere Gemeindemitglieder. Das ist meistens so.«
Karina nickte. »Ich komme!« Sie sah Jenny fragend an.
»Wie spät ist die Beerdigung denn?«, erkundigte sich diese.
»Um halb neun«, antwortete Martin, während er seine Jacke überzog. Jenny gähnte. »Och nee«, murmelte sie.
Karina versteckte ihr Grinsen, indem sie rasch zur Seite sah. Ihre Freundin war schon immer ein Morgenmuffel, daran konnten auch tolle Männer nichts ändern.
»Ich bin pünktlich da«, versprach Karina. »Das ist vielleicht besser, allein kommt man schneller ins Gespräch.«
Martin Kleine nickte. »Wir sehen uns«, verabschiedete er sich von Jenny und folgte Karina in den Flur.
»Ich hoffe, Sie können gut schlafen, nach dieser ganzen Aufregung«, sagte er zu ihr, als er vor der Haustür stand. Dabei sah er sie mit einem Blick an, der Karina lange nicht einschlafen ließ.
*
Samuel half seinem Vater, die Bücher umzuräumen. »Brecht nach hinten, Bonsels nach vorn«, gab der Vater vor. Samuel fand es merkwürdig, dass sein Vater ausgerechnet diese »schwachsinnigen Bücher«, wie er sie sonst immer nannte, in der vordersten Reihe haben wollte.
»Flake nach vorn, Feuchtwanger«, Jakob Weizmann stockte mitten in seinen Anordnungen. »Vielleicht sollten wir den lieber gleich wegräumen«, sagte er und nahm das Buch ›Jud Süß‹ selbst aus dem Regal. »Joseph Süß Oppenheimer, das war einer von uns«, murmelte Jakob Weizmann.
Samuel sah seinen Vater überrascht an. Bisher war ihm nie wichtig gewesen, dass er Jude war. Er war es, wie er auch Kaufmann war und Buchhändler und Vater, Schützenbruder und
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