Brandbücher - Kriminalroman
sie ihre Becher auf den Tisch und es war nicht klar, ob sich ihre Handrücken zufällig berührten oder ob einer von ihnen nachgeholfen hatte. Karina kam es vor, als hätte sie einen elektrischen Schlag bekommen.
Gerade als sie sich vorbeugen wollte, verkündete der Signalton ihres Netbooks den Eingang einer neuen E-Mail. Sie ärgerte sich über den automatischen Mailabruf, den sie eingestellt hatte. Aber wie hatte sie auch wissen können, dass er mitten in einen solchen Moment platzte. Die Stimmung war auf jeden Fall zerstört. Karina schüttelte sich enttäuscht und rief das Mailprogramm auf.
»Ah, Jenny hat etwas über Katte Tengelkamp herausgefunden«, sagte sie, darum bemüht, normal zu klingen. Es war gut, eine Freundin zu haben, deren Vater gelegentlich in der Klatschpresse erschien. So ein Vater hatte immer irgendwelche Kontakte, da konnte ihr Versicherungsvater nicht mithalten.
»Er war früher Profiboxer und ist jetzt Trainer in einem Boxclub, der gelegentlich wegen Schlägereien außerhalb des Rings in die Schlagzeilen kam«, murmelte sie, während sie die E-Mail überflog. Sie bemerkte, wie Martin Kleine sich hinter sie stellte und ihr über die Schulter sah. Am liebsten hätte sie sich umgedreht und ihn zu sich herangerissen. Aber er war ein Pfarrer und keiner ihrer Kommilitonen oder irgendein Disco-Besucher, mit denen sie gelegentlich kleine Affären hatte.
»Mmh, das klingt ja nicht nach einer rauschenden Karriere von Doktor Schulze-Möllerings Enkel, was?«, meinte Martin Kleine und setzte sich wieder in den Sessel. Er zog einige Blätter aus seiner Tasche und streckte die Beine so weit aus, dass seine Füße ihr Schienbein berührten. Augenblicklich spürte Karina wieder Wärme in ihr aufsteigen.
»Ich habe auch ein wenig recherchiert.« Der Pfarrer legte den Papierstapel so auf den Couchtisch, dass beide hineinsehen konnten.
Ob das Absicht ist?, dachte Karina, als sie sich vorbeugte und merkte, wie seine Haare ihre Wange berührten. Doch der Gedanke verflog augenblicklich, als sie die Überschrift des Artikels las, den Martin Kleine mitgebracht hatte: ›Nachruf auf Weihbischof Bruno Schulze-Möllering‹.
*
Samuel saß im Wohnzimmer, als er Stimmen hörte.
»Hörst du das?« Samuel unterbrach seinen Vater, der versuchte, bei dem schwachen Schein der Kerze zu lesen. Er sprang auf und stieß gegen den Tisch, als er zum Fenster ging, das auf die kleine Straße in dem sonst beschaulichen Zentrum seines Heimatstädtchens hinausging.
Am Ende der Straße, wo sie am Kornmarkt in die Goldstraße überging, sah er Fackeln, die aussahen, als schwebten sie wie Irrlichter durch die Stadt. Wenn es nur Irrlichter sind, dachte Samuel. Die tiefen Stimmen, die aus der Richtung kamen, ließen anderes vermuten. Er sah, wie Männer mit Fackeln vor dem Schaufenster des Goldschmieds stehen blieben.
»Gib mir mal den Topf«, hörte er einen Mann, der einen Arm ausstreckte, während er mit dem anderen gegen die Schaufensterscheibe drückte. Samuel konnte erkennen, wie jemand dem Mann einen dicken Pinsel reichte. Er strich damit über die Schaufensterscheibe, ein anderer legte ein Blatt auf die Stelle.
Die Männer johlten und Samuel zuckte zusammen. Das bedeutete nichts Gutes. Er wusste, dass der Goldschmied Jude war, früher hatten sie sich oft in der Synagoge am Nonnenplatz oder beim Rabbiner in der Mühlenstraße getroffen.
»Los, zu Weizmann!« Samuel erkannte Brunos Stimme.
»Was ist denn da?« Jakob Weizmann stellte sich neben seinen Sohn ans Fenster. Die Fackeln waren inzwischen so nahe gekommen, dass Samuel die Männer in ihrer dunklen Kleidung erkennen konnte. Bei manchen blitzte das Parteiabzeichen im Schein der Fackeln auf.
»Geh weg da!« Samuel duckte sich, damit sein Schatten von außen nicht zu sehen war. In Zeiten wie diesen war es besser so zu tun, als wäre man nicht zu Hause. Widerstand würde alles nur schlimmer machen.
Sein Vater stellte sich neben das Fenster und spähte hinaus. »Bruno ist dabei«, sagte er leise.
»Da ist doch Licht!«, hörten die beiden unten eine Stimme. Jemand rüttelte an der Haustür. Samuel beeilte sich, die Kerze auszublasen.
»Da ist nichts!«, rief ein anderer.
»Willi Schulze«, flüsterte Jakob. Samuel hatte die Stimme des Schreinergesellen, der ihnen die Regale repariert hatte, auch erkannt. »Ich wusste gar nicht, dass der zu denen gehört«, murmelte er und sah seinen Vater fragend an.
»Das war sicher nur eine Spiegelung unserer Fackeln«,
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