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Brandbücher - Kriminalroman

Brandbücher - Kriminalroman

Titel: Brandbücher - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Ebbert
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Blicke der anderen Studenten, die wussten, dass er Jude war.
    Nicht mehr viele von ihnen wagten sich noch auf den Campus. Die meisten blieben zu Hause, weil sie wie Aaron und er verprügelt worden waren. Und nicht alle hatten das Glück, dass Professoren sich auf ihre Seite stellten.
    Diese Professoren würden ab morgen weniger werden, das war ihm gleich klar, als er das Plakat mit den zwölf Thesen am Eingang gesehen sah. Ein großes weißes Plakat, oben stand in großer roter Schrift ›Wider den undeutschen Geist!‹ und darunter in der gleichen blutroten Schrift ›Die Deutsche Studentenschaft!‹ Das sollte also auch in seinem Namen verfasst worden sein. Noch war er Student, selbst wenn ihm niemand in Münster ein Zimmer vermieten wollte. Student war er auch ohne Zimmer.
    »Lass uns wieder gehen«, bat ihn sein jüdischer Mitstudent Daniel Gans und sah sich ängstlich um. »Lies dir nur These elf durch, dann weißt du, was uns erwartet.«
    Samuels Blick strich die Thesen entlang bis zur elften: ›Wir fordern die Auslese von Studenten und Professoren nach der Sicherheit des Denkens im deutschen Geiste.‹ Das bedeutete das Ende seines Studiums. Aber wollte er so schnell aufgeben? Er war unsicher, Angst und Trotz kämpften in ihm miteinander. Wenn er an seinen Vater dachte, zog es ihn nach Hause, wenn er an Bruno und seine braunen Kumpanen dachte, regte sich Widerstand, der ihn selbst überraschte.
    »Ich gehe trotzdem in die Vorlesung«, sagte er entschlossen.
    Daniel zögerte. »Komm, wir gehen lieber«, versuchte er Samuel zu überreden. »Du weißt genau, dass Professor Feinstein Jude ist. Wer weiß, was in der Vorlesung passiert.«
    Daran hatte Samuel nicht gedacht, doch nun war er mitten in der Nacht aufgestanden, um möglichst unerkannt nach Münster zu kommen, weil er hier keine Bleibe mehr hatte. Da wollte er nicht kneifen. Vielleicht wird alles doch nicht so schlimm, versuchte er sich einzureden.
    Die Vorlesung blieb zunächst erstaunlich ruhig. Samuel glaubte schon, dass alles nur ein dummer Streich war, als junge Männer in SA-Uniform in den Hörsaal stürmten. Er erkannte Bruno Schulze-Möllering, der immer dort zu sein schien, wo es gegen Juden ging.
    »Was machen Sie hier?«, schrie er Professor Feinstein an, der am Katheder vor einer Karte der inneren Organe stand.
    Der Professor nahm seine Brille ab, als könnte er die Männer sonst nicht sehen. »Ich lehre«, sagte er ruhig.
    Das schien Bruno erst recht aufzubringen. »Sie gehören nicht hierher. Juden ist ab heute der Zutritt zur Universität untersagt.«
    »Wer sagt das?«, antwortete der Professor. Er wirkte ruhig, doch Samuel konnte aus der ersten Reihe sehen, dass er blass geworden war.
    »Wir, die wahren Deutschen!«, brüllte Bruno so laut, dass selbst seine Begleiter zurückzuckten. »Raus hier, sofort.« Er drehte sich zu den Studenten um und brüllte erneut: »Und ihr auch. Juden raus. Ihr vergiftet unsere Sprache und unser Land.« Er zog ein Papier aus der Jackentasche, das genau so aussah wie das, was Samuel bereits am Eingang gesehen hatte.
    »Wider den undeutschen Geist«, begann Bruno. »Erstens. Sprache und Schrifttum wurzeln im Volke. Das deutsche Volk trägt die Verantwortung dafür, dass seine Sprache und sein Schrifttum reiner und unverfälschter Ausdruck seines Volkstums sind.*« Er machte eine kurze Pause, als wartete er auf Applaus. Seine Begleiter schrien: »Jawohl, so isses!«
    Das spornte Bruno an, weiterzulesen. »Zweitens. Es klafft heute ein Widerspruch zwischen Schrifttum und deutschem Volkstum. Dieser Zustand ist eine Schmach.*«
    Samuel sah sich um. In den hintersten Reihen standen die ersten Studenten auf und versuchten unauffällig aus dem Saal zu gelangen. Er wusste, dass es Juden waren. Die ersten Studenten im Publikum unterstützten Brunos Begleiter bei ihrem ›Jawohl. So isses!‹-Ruf.
    Bruno fuhr fort: »Drittens. Reinheit von Sprache und Schrifttum liegt an dir! Dein Volk hat dir die Sprache zur treuen Bewahrung übergeben.*«
    Samuel gab sich Mühe, unbeteiligt zu schauen, als genau hier wieder viele »So isses!« riefen. Ausgerechnet sie sollten und wollten sich für die Reinheit der deutschen Sprache einsetzen?
    »Viertens. Unser gefährlichster Widersacher ist der Jude und der, der ihm hörig ist.*« Bruno zeigte auf Samuel, der bis dahin gehofft hatte, dass er hinter den anderen SA-Männern, die sich um Bruno geschart hatten, nicht auffiel. »So sieht einer aus!«, schrie Bruno. »Seht ihn euch

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