Brandbücher - Kriminalroman
zu werden, stand Bruno auf und las weiter: »Zweitens. Jeder deutsche Student säubert die Büchereien seiner Bekannten und sorgt dafür, dass ausschließlich volksbewusstes Schrifttum darin heimisch ist.*«
Samuel nahm sich vor, gleich am nächsten Tag alle Bücher jüdischer Autoren wegzuschaffen. Sie standen zwar versteckt im hinteren Raum, den sein Vater abgeschlossen hatte, aber er hatte keinen Zweifel, dass Bruno bald bei ihnen auftauchen würde.
»Die werden schon sehen, was sie davon haben«, brüllte Bruno weiter. »Ich werde ganz allein einen Karren voller Bücher aussortieren.«
Endlich war es seinen Begleitern gelungen, ihn auf die Bank zu zwingen und ihm das Blatt zu entreißen. »Das gehört in die Studentenschaft und nicht in die Kneipe«, sagte einer ernst und schob das Blatt in seine Hosentasche. »Mensch, das kommt vom Propagandaamt, du kannst das nicht einfach unterschlagen.«
»Unterschlagen!« Bruno ereiferte sich schon wieder. »Wenn dieser Arsch nicht gewesen wäre, hätte ich jetzt das Sagen in dem Kampfausschuss, dann wäre ich Leiter der Aktion gegen den undeutschen Geist. Das ist meine Aufgabe.«
Seine Begleiter sahen sich um. Samuel bemerkte, dass alle anderen Gäste ihre Gespräche wieder aufnahmen. Bis draußen vor dem Fenster spürte er die Beklommenheit der Anwesenden. Doch er wusste auch, dass niemand etwas erwidern würde. Das konnte gefährlich sein, keiner wusste, wer am nächsten Tag zum Gruppenführer oder Gauleiter befördert wurde oder einen anderen hohen Posten in der Partei einnahm.
Bedrückt schlich Samuel zum Bahnhof. Er wagte nicht, in die Straßenbahn zum Bahnhof zu steigen. Früher hatte er die rote Linie oft genommen und sich den Fußweg erspart, heute lief er lieber.
Wenn er Glück hatte, war der letzte Zug noch nicht weg. Er musste so schnell wie möglich nach Hause, um die Buchhandlung auf den möglichen Besuch von Bruno vorbereiten. Seit Bruno in das Verbindungshaus gezogen war, ließ er sich nur noch alle zwei Wochen in seiner Heimatstadt blicken. Nicht wenige waren erleichtert darüber, hatten sie doch den Eindruck, der Sohn wollte seinen Vater in Parteitreue und Deutschtum übertreffen.
15
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Als ich heute Morgen kam, w a r niemand da. Herr Weizmann ist weg. Samuel ist nicht nach Hause gekommen. Die Zeitung lag vor der Tür. Ich wollte sie gerade holen, da sprach mich Berta an. Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit sie wegen dieser Frauengruppe da war. »Dor kas es sehn, wat denn Hitler för de kleenen Lö döht«, sagte sie und zeigte auf die Zeitung. ›Hitler erklärt den 1. Mai zum Staatsfeiertag‹, las ich. »Un wat häs du dorvan?«, fragte ich Berta und entdeckte an ihrem Kleid das Abzeichen der Partei, das ich vom Doktor kannte.
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Berta schwärmte davon, was dieser Hitler in der kurzen Zeit alles geschafft hatte. »Ick nämm mie denn freen Dag, dat sägg ick die«, sagte sie und schaute da b ei grimmig drein. Ich wusste, dass ihre Herrschaft ziemlich streng war und kniepig mit der Freizeit. Ganz anders als Herr Weizmann. Wenn ich nur wüsste, ob es ihm gut geht. Und Samuel.
Erschöpft stellte Karina den Motor aus. Die Fahrt nach Münster hätte sie sich sparen können. Der Besuch im Diözesanarchiv hatte sie nicht weitergebracht. Sie konnte nur hoffen, dass Martin etwas mit der Notiz von diesem Pelle Maibaum anfangen konnte.
Sie stieg aus dem Auto und ging zum Haus. Etwas war merkwürdig. Auf den ersten Blick fiel ihr nicht auf, was es war. Dann sah sie, dass eine der Butzenscheiben in der Haustür fehlte.
Hatte sie das am Morgen übersehen? Sie schloss die Tür auf und bemerkte den Stein und die Scherben, die im Flur lagen. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihr aus.
»Hallo!«, rief sie laut, um sich selbst zu beruhigen und einen möglichen Eindringling zu warnen. Stille. Sie nahm den Stein aus den Scherben und fand den Zettel, der mit einem Gummiband an dem Stein befestigt war.
»Verschwinde! Sonst trifft der nächste Stein dich!«, las Karina. Sie spürte, wie sich die Härchen auf ihren Armen aufstellten und ein Angstkloß sich in ihrem Magen breitmachte. Zuerst die E-Mail an Martin und nun dieser Stein. Was hatte das alles zu bedeuten?
Sie überlegte, ob sie die Polizei oder zuerst Martin anrufen sollte. Er war der einzige Mensch, den sie hier kannte. Außer den alten Leuten, aber die konnten ihr hier kaum helfen.
Entschlossen zog Karina die Tür wieder zu und setzte sich in ihr Auto. Sie sah sich aufmerksam
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