Brandbücher - Kriminalroman
Gastgeberin wieder auf die richtige Fährte zu lenken. Doch die hatte die Ausgangsfrage keineswegs vergessen und sagte nun: »Katharina gefiel es besonders, dass sie die Bücher des Doktors lesen durfte. Heute würde man sagen, sie war eine Leseratte. Für Mädchen war das damals ungewöhnlich, zumindest für Mädchen wie Katharina, deren Eltern beim Bauern arbeiteten.«
Karina war lange davon ausgegangen, dass ihre Großeltern einen Hof besessen hatten. Sie war gar nicht auf die Idee gekommen, dass es auch Menschen gab, die beim Bauern angestellt waren.
»… bei Weizmanns«, hörte Karina noch und ärgerte sich, dass sie nicht alles mitbekommen hatte. Genau im entscheidenden Moment waren ihre Gedanken in eine andere Richtung gezogen. »Entschuldigung, ich war gerade in Gedanken.«
Josefa Reinermann freute sich über die Gesellschaft und machte sich über das dritte Stück Kuchen her. Sie schilderte Karina, warum ihre Großtante Katharina die gute Stelle beim Doktor aufgegeben hatte und wie sie zu dem jüdischen Buchhändler Jakob Weizmann gelangt war.
*
»Du musst hier weg, Vater!« Samuel machte beim Sprechen immer wieder kurze Pausen. Er war den ganzen Weg vom Bahnhof nach Hause gerannt.
»Lass mich!« Jakob Weizmann wehrte seinen Sohn ab. »Ich bin in dieser Stadt zu Hause, seit ich deine Mutter geheiratet habe. Hier haben wir zusammen gelebt, hier bist du geboren, hier sind deine Mutter und deine Schwester begraben, ich habe kein anderes Zuhause.« Er ließ den Kopf sinken.
Samuel wusste, dass seine Mutter hier schon lange kein ruhiges Zuhause mehr hatte. Wann immer es möglich war, ging er auf den Friedhof, und die Steine, die er ihr hinlegte, lagen beim nächsten Besuch meist verstreut in der Gegend herum.
Er musste seinen Vater zur Flucht zwingen. Die holländische Grenze war nicht weit. Nicht viele Juden hatten das Glück, so nah an einer Landesgrenze zu leben. Zehn, zwölf Kilometer mochten sie von dem sicheren Boden trennen.
»Vater, ich weiß, dass Bruno kommen wird.« Er stockte und sah Katharina an, die im Mantel in der Tür stand, um sich zu verabschieden. »Er war schon einmal hier, um die Bücher zu holen. Die von den jüdischen Schriftstellern.« Wieder schwieg er, um seine Kräfte zu sammeln. Er musste sicher und überzeugend wirken und dem Vater das Leben in Winterswijk in den schönsten Farben ausmalen, in besseren Farben zumindest als das Braun, das von Tag zu Tag mehr das Stadtbild beherrschte.
»Zweimal!« Katharina unterbrach Samuel. »Bruno Schulze-Möllering hat schon zweimal versucht, die Bücher zu holen.«
Samuel und Jakob Weizmann sahen Katharina überrascht an. »Davon haben Sie gar nichts gesagt.«
Katharina nickte. »Er ist ja wieder gegangen und ich wollte Sie nicht beunruhigen.«
»Da hörst du es, Vater, ein drittes Mal lässt er sich nicht abhalten. Er wird hier alles auf den Kopf stellen, um etwas zu finden, das er seinen Freunden präsentieren kann.« Samuel ging vor seinem Vater in die Hocke und sah ihm direkt in die Augen. »Er braucht eine Trophäe. Wenn er keine Bücher findet, wird ihm auch alles andere recht sein. Alles!« Samuel wurde lauter, um seinem Vater die ganze Gefahr deutlich zu machen.
»Das ist mein Lebenswerk!« Jakob Weizmann klammerte sich mit Worten und Händen an sein Buchhändlerdasein, doch Samuel spürte, dass sein Vater zauderte. Er holte tief Luft und verachtete sich für das, was er nun sagte, aber er wusste, er tat es nur zum Wohle seines Vaters: »Denk daran, was sie im Gefängnis mit dir gemacht haben. Glaub mir, Bruno kann das auch.«
Sein Vater warf ihm einen entsetzten Blick zu. »Woher weißt du, dass Bruno dabei war?«, fragte er, seine Stimme war kaum zu verstehen. Er sah seinen Sohn und Katharina nicht an, als er sich aus dem Sessel in die Höhe schob. »Ich gehe packen«, sagte er nur und warf seinem Sohn einen traurigen Blick zu.
Samuel weinte, wie er in seinem Leben noch nicht geweint hatte.
24
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»Wo sind die Bücher?« Damit ist Bruno Schulze-Möllering in den L a den gestürmt und hat die Tür so fest aufgeworfen, dass die Scheibe erzitterte. »Wo ist Weizmann?«, wollte er wissen, als ich ihn ansah. »Herr Weizmann ist nicht da«, sagte ich. Das war nicht gelogen. »Welche Bücher suchen Sie denn?« Ich versuchte, streng zu sprechen, damit er meine Angst nicht hörte. Doch Bruno Schulze-Möllering achtete nicht auf mich. Er ging auf die Tür zum Hinterzimmer zu, die ich nicht abgeschlossen
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