Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
dachte, ich sag’s euch besser gleich, damit ihr euch überlegen könnt, was ihr tun wollt.«
»Wer ist Heiner Thiel?«, schaltete Pieplow sich ein, bevor das Gespräch weiter an ihm vorbeilief.
Breker musterte ihn mit milde tadelndem Blick.
»War er damals noch nicht hier?«, erkundigte er sich bei Kästner, der Hiddenseer war und genau wusste, wann sein utwartscher Polizeiobermeister hier aufgetaucht war.
»Wann war denn die Sache mit Thiel?«, fragte Pieplow.
Breker musste nicht lange nachdenken. »Das war 94. Ich weiß es genau. Ich hatte nämlich Siebzigsten in dem Jahr. Zwei Tage nach seiner Verhaftung war die Feier. Die alten Thiels waren auch eingeladen, sind aber nicht gekommen.«
»94 war ich noch in Rostock.« Das wiederum wusste
Pieplow ganz genau. »Und was hat es mit diesem Thiel auf sich?«
»Er hat ein Mädchen umgebracht. Drüben auf Mönchgut. Hat da auf’m Bau gearbeitet oder so. Regelrecht abgeschlachtet soll er sie haben. So stand es jedenfalls in der Zeitung. Zugegeben hat er’s zwar nicht, aber umsonst wird ja keiner zu fünfzehn Jahren verdonnert. Die sind jetzt um. Aber wenn er denkt, er kann hierherkommen, als sei nichts gewesen, dann gibt’s Ärger, das sag ich euch. Besser, ihr unternehmt gleich was dagegen. Wär nicht gut, wenn es andere tun.« So gesehen brach Mall Breker mit der alten Hiddenseer Tradition, sich nicht lange mit Gesabbel aufzuhalten, sondern die Dinge gleich in die Hand zu nehmen. Polizisten standen dabei eigentlich nur im Wege.
»Jetzt mach mal halblang, Mall. Wenn dieser Thiel nicht ausgebrochen, sondern ganz normal entlassen worden ist, dann kann er genauso gut hier sein wie du und ich.« Pieplow sah Breker an, dass seine Mahnung auf taube Ohren stieß.
»Aber nicht da, wo wir das nicht wollen.« Hiddenseer Logik im rechtsfreien Raum. »Seht also zu, dass der wieder verschwindet. Je eher, desto besser. Für uns und für ihn sowieso.« Breker rappelte sich vom Besucherstuhl auf, brummte etwas von Kälte und Gift für alte Knochen und zog von dannen. Fürs Erste war alles gesagt.
»Weißt du genauer, was damals passiert ist?« fragte Pieplow, als er den Streifenwagen aus der Rathauseinfahrt in den Wiesenweg lenkte.
»Du meinst mit Thiel?«
»Was denn sonst.«
»Tja«, sagte Kästner. »Viel kann ich dazu nicht sagen. Ist ja auch schon eine ganze Weile her. Thiel hatte was mit einem Mädchen, das wohl nicht so wollte wie er. Oder noch andere Liebschaften hatte. So was in der Art. Er ist dahintergekommen, hat sie erstochen und das Haus angezündet. Das ist das, woran ich mich erinnere. Kannst dir ja vorstellen, was sonst noch für Geschichten im Umlauf waren. Eine blutrünstiger als die andere. Als wäre die Wahrheit nicht schlimm genug.«
In Pieplows Kopf blitzte ein Bild auf. Von einer Frau, die vor seinen Augen stirbt. Deren Blut alles rot färbt. Ihre Kleider, den Teppich, auf dem sie sich krümmt. Pieplows Uniform. Seine Hände.
Für einen kurzen Moment geriet sein Herz aus dem Takt, dann war das Bild beiseitegeschoben. Es hatte hier nichts zu suchen und nicht das Geringste mit diesem Thiel zu tun.
»Was hältst du davon, dass er hier wieder auftaucht?«
»Was soll ich schon davon halten?«, wich Kästner aus. Das Schneegestöber vor den Autoscheiben schien interessanter als die Geschichte mit Thiel.
»Jetzt erzähl mir nicht, dass du keine Meinung dazu hast.« Es wäre, soweit Pieplow wusste, das erste Mal,
dass sein Dienststellenleiter mit seinen Ansichten hinterm Berg hielt.
»Ich weiß nicht«, druckste Kästner herum. »In gewisser Weise hat Breker natürlich Recht. Besser wär’s, Thiel verschwindet wieder. Ich glaube nicht, dass er hier ein Bein auf die Erde kriegt, um es mal vorsichtig auszudrücken. Und wenn du es genau wissen willst, mir ist auch mulmig bei dem Gedanken, dass ein Frauenmörder hier rumläuft.«
»Vielleicht sollten wir tatsächlich mal mit ihm reden. Ihm klarmachen, dass er niemandem einen Gefallen tut, wenn er bleibt. Auch sich selbst nicht.«
»Das sollten wir«, stimmte Kästner zu. »Und zwar bevor er sich häuslich einrichtet.« Damit gab es für morgen einen ersten Tagesordnungspunkt auf dem Dienstplan, was für Hiddenseer Verhältnisse schon viel war. Besonders im Winter.
»Wenn es weiterhin so schneit, musst du ein Polizeipferd requirieren«, sagte Pieplow, als kurz vor Neuendorf die Flocken schneller und dichter auf die Windschutzscheibe zuflogen. »Oder Skier organisieren.« Ganz abwegig war die Idee
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