Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
dachte Pieplow, als er beobachtete, wie nachdrücklich Ostwald den Kopf schüttelte.
Auch bei Möhle öffnete eine Frau. Aber sie war jung, trug Leggings unter einem langen, dicken Pullover und ein quengelndes Kind auf dem Arm.
»Kommen Sie erst mal rein, damit nicht die ganze Wärme nach draußen verschwindet.« Sie lächelte unbefangen und setzte das Kind ab, das sich nun hinter ihren Beinen versteckte. Auch unter ihrem Pullover wölbte sich ein Kugelbauch, wenn auch wohl aus anderer Ursache als bei Torsten Baring.
»Polizei? Welche Polizei?«, kam es aus dem oberen Stockwerk zurück, als sie nach ihrem Mann rief. Bevor Pieplow Auskunft geben musste, kam Arnold Möhle die Treppe herunter.
»Was gibt’s?«, fragte Arnold Möhle so salopp, als wäre es selbstverständlich, dass zwei Polizisten in seinem Hausflur standen.
Er war groß und dürr und mindestens zehn Jahre älter als seine Frau. Sein Gesicht hatte mit der hohen, flachen Stirn und dem vorgeschobenen Kinn etwas Pferdehaftes. »Was kann ich für Sie tun, meine Herren?« , fragte er und begrüßte sie mit Handschlag. Wenn es ihn befremdete, dass Ostwald nichts zur Begrüßung beitrug, ließ er es sich nicht anmerken.
Er war Pieplow auf Anhieb unsympathisch.
»Wir gehen neuen Hinweisen im Fall Heiner Thiel …«
»Müsste es nicht ›der Fall Manuela Fischer‹ heißen?«, unterbrach Möhle ihn.
»Ja … also es gibt in diesem Fall neue Hinweise, denen wir nachgehen.« Noch bevor Möhle antwortete, wusste Pieplow, dass sie in einer Sackgasse landen würden.
»Und was habe ich damit zu tun?« Möhle sah Ostwald an, der nur den Kopf seitlich neigen und die Lippen viel sagend schürzen konnte.
Es war an der Zeit, dass Pieplow eine Erklärung abgab.
»Hauptkommissar Ostwald ist leider etwas gehandicapt.« Pieplow hielt sich die Hand an den Hals. »Eine Kehlkopfentzündung. Er soll nur sprechen, wenn es unbedingt nötig ist.«
»Und warum kommt dann nicht Kommissar Ehmke? Oder ist der auch irgendwie gehandicapt?« Möhle bleckte seine kräftigen Zähne zu einem unfreundlichen Lächeln.
»Das wird er sicher, wenn es ein neues Ermittlungsverfahren gibt, aber zunächst geht es, wie gesagt, um die Überprüfung von …«
»Verstehe ich das richtig? Es laufen gar keine offiziellen Ermittlungen, Sie stochern hier nur zum Vergnügen ein bisschen mit der Forke im Nebel? In einem Fall, der seit fünfzehn Jahren geklärt ist?« Möhle musterte Pieplow mit spöttischem Blick.
»Möglicherweise stellen sich die Dinge heute etwas anders dar«, sagte Pieplow. »Um das zu überprüfen,
möchten wir Ihnen ein paar Fragen zu Ihrer Aussage von damals stellen.«
»Da gibt’s nichts zu fragen. Und ich habe nicht die geringste Lust, mich noch einmal mit dem ganzen Mist zu beschäftigen. Mir hat es damals mehr als gereicht.« Damit war das Gespräch beendet. Ein Schwall kalter Luft kam herein, als Möhle die Haustür öffnete und sie verabschiedete. Ohne Handschlag.
Es war kurz vor zwei, als sie wieder auf der Straße standen. Pieplow wendete das Auto und fuhr zurück zum Parkplatz hinter der Kirche. Zeit für ein Mittagessen und was sonst noch nach zwei Stunden mehr oder weniger ergiebiger Gespräche notwendig war. Als sie die Tür zum Boddenblick aufzogen, kam ihnen eine Duftmischung mit der Kopfnote gebratener Zander und Rumgrog entgegen.
Sie waren die einzigen Gäste. Der Zander wurde mit Petersilienkartoffeln serviert und schmeckte vorzüglich. Auf den Rumgrog verzichteten sie. Dienst ist Dienst.
»Sie sind wegen diesem Thiel da, oder?« Die Kellnerin legte die Rechnung auf den Tisch. Ihre Hände waren gerötet und rochen nach Spülmittel.
»Hat sich das schon herumgesprochen?«
»Nicht direkt«, sagte sie. »Aber erst taucht er selbst hier auf, dann kommt die Polizei und will was von Baring und Möhle. Da fragt man sich doch, was das zu bedeuten hat.«
»Und – sind Sie zu einer Antwort gekommen?«
»Dann bräuchte ich ja nicht mehr zu fragen.«
Wenn sie lächelte, kamen weiße, ein wenig schiefe Zähne zum Vorschein, und sie wirkte jünger, als sie war.
»Da ist was dran«, stimmte Pieplow zu. »Vielleicht können wir uns auf ein Tauschgeschäft einigen?«
»Kommt drauf an.«
»Ich sage Ihnen, dass wir wegen Thiel hier sind und Sie beantworten ein paar Fragen?«
»Ich kann’s ja versuchen. Aber erst bringe ich das Geschirr nach hinten.« Sie verschwand mit den schmutzigen Tellern in der Schwingtür zur Küche und kam mit Aschenbecher und
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