Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
Zigaretten zurück.
»Jetzt kommt sowieso keiner mehr«, sagte sie. »Oder stört es Sie?«
»Überhaupt nicht«, versicherte Pieplow.
Ostwald schüttelte freundlich den Kopf.
Sie hieß Susanne Kilian, war ein paar Häuser weiter vor siebenunddreißig Jahren geboren und hatte, wie konnte es auch anders sein, Manuela gekannt.
Ziemlich gut sogar.
»Wenigstens solange wir zur Schule gegangen sind. Danach … Sie ist erst nach Bergen wegen der Lehre und dann nach Stralsund. Ich bin hiergeblieben. Und als sie weggezogen ist, haben wir nicht mehr viel miteinander zu tun gehabt.«
»Moment«, unterbrach Pieplow. »Ich denke, sie hat hier gewohnt?«
»Später wieder, ja. Eines Tages war sie wieder da.
Angeblich weil sie in Sellin eine bessere Stelle gefunden hatte.«
»Aber Sie haben das nicht geglaubt?«
»Ich weiß nicht … Nein, eigentlich war ich sogar überrascht.«
»Und wieso?«
»Ich dachte immer, sie würde ganz von hier weggehen. Aber nein, sie kommt zurück und fängt hier diese ganzen Geschichten an.«
»Männergeschichten, meinen Sie?«
»Was denn sonst? Es war … wie soll ich sagen … es war, als ob sie irgendwas beweisen wollte. Oder irgendwem. Was weiß ich.«
»Darüber gesprochen haben Sie nicht?«
»Ich hab’s einmal versucht. Aber da hat sie mich ziemlich abblitzen lassen. Also hab ich meinen Mund gehalten und mir meinen Teil gedacht.«
Hatten das alle getan? Den Mund gehalten und nicht gesagt, was sie dachten? Von knapp vier Jahren abgesehen, hatte Pieplow sein Leben in Dörfern verbracht und hielt das für unwahrscheinlich.
»Natürlich wurde getratscht, was glauben Sie denn. Schon aus Gnatz darüber, dass Manu sich nicht darum scherte.« Susanne Kilian verstummte. Schaute wie abwesend aus dem Fenster. Schüttelte langsam den Kopf. »Ich mochte sie wirklich. In mancher Hinsicht wäre ich sogar gern gewesen wie sie. So unabhängig, so … stolz, würde ich sagen, obwohl das vielleicht ein bisschen altertümlich klingt.«
Ganz und gar nicht, fand Pieplow. Stolze Frauen gefielen ihm sogar dann, wenn er sie nicht verstand.
Er hatte den Mann nicht kommen hören, der plötzlich mitten in der Gaststube stand. Ein kräftiger, rotgesichtiger Mann, der so energisch wirkte, dass er eigentlich nur der Wirt sein konnte.
»Ich muss dann mal wieder.« Susanne Kilian griff nach Aschenbecher und Zigaretten. »Die Küche wird leider nicht von alleine sauber.« Sie erhob sich und verschwand durch die Schwingtür neben der Theke.
»Ist was nicht in Ordnung?« Der Wirt sah von Pieplow zu Ostwald und dann auf den Teller mit der unbeglichenen Rechnung.
»Nein, nein«, beeilte sich Pieplow zu versichern und legte dreißig Euro auf den Teller mit dem Coupon. »Alles in bester Ordnung.«
Ostwald schüttelte den Kopf und bedachte Pieplow mit dem Blick, mit dem er notorische Lügner auf den Boden der Tatsachen zu holen pflegte.
»Na dann«, sagte der Wirt. Er nahm Geld und Teller und trug es hinter den Tresen.
Ostwald erhob sich und wies mit einem Nicken in den hinteren Teil der Gaststube.
Pieplow nickte zurück. Alles klar. Jedenfalls was diese ganz spezielle Notwendigkeit betraf.
Pieplow blieb am Tisch sitzen und wartete. Starrte vor sich hin. Trommelte mit den Fingern auf dem Tischtuch.
Was hatte es mit diesem Jahr in Stralsund auf sich?
Hatte Manu sich tatsächlich verändert? Oder war sie nur flügge und den Nesthockern fremd geworden?
Wenn die Ermittlungen Hand und Fuß gehabt hatten, würde sich die Antwort in den Akten finden lassen.
Und wenn nicht?
Pieplow beschloss, die Tagesordnung um einen Punkt zu erweitern.
»Sagen Sie, leben Manuelas Eltern noch hier?«
»Der Vater nicht. Der ist vorletztes Jahr gestorben.« Für einige Sekunden war der einzige Ton im Raum das Quietschen des Glases, an dem der Wirt herumwienerte. »Die Mutter lebt noch.« Das Glas wurde gegen das Thekenlicht gehalten, für sauber befunden und mit größter Sorgfalt weggestellt.
»Und wo?«
»Wo sie wohnt?«
»Ja.« Pieplow bat die nordischen Götter um Geduld mit so viel pommerscher Geschwätzigkeit.
»Dahinten. Rechts, kurz vor den Neubauten. Das Haus, das ein bisschen zurückliegt. Kann man gar nicht verfehlen.«
Das Haus war das kleinste in der Straße, hatte aber wie die anderen im Vorgarten ein Schild, das Zimmer anbot. Der Weg durch den Vorgarten war mit Asche gestreut, aber der Trittstein gefährlich glatt. Es dauerte eine Weile, bis nach ihrem Klingeln im Haus Geräusche zu hören waren.
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