Brandfährte (German Edition)
dem hartnäckigen Hundewunsch ihrer Tochter widerstanden hatten.
«Am Ende gehen wir morgens, mittags und abends mit dem Köter Gassi und zerbrechen uns den Kopf, wo wir in den Ferien mit ihm bleiben sollen.»
Aber Ira hatte schon längst alles entschieden und für jeden seiner Einwände eine Lösung parat. Angeblich hätten zwei ihrer Freundinnen, die wenig verreisten, zugesagt, den Hund im Urlaub zu übernehmen. Und wenn Marie einmal nicht könnte, würde eben sie, Ira, gehen.
«Du brauchst dich um absolut nichts zu kümmern», hatte seine Frau ihm versprochen. Ihre Entschiedenheit weckte in ihm den Verdacht, dass Ira womöglich auch all die Jahre gerne einen Hund gehabt hätte. Zumal er sie nachts, wenn er zu Tatorten gerufen wurde, oft in dem einsam gelegenen Haus allein lassen musste.
Der Golden Retriever war knapp drei Monate alt, als er bei ihnen einzog, und schlief vom ersten Tag an bei Marie. Schon nach einer Woche wusste Steenhoff, dass Iras Entscheidung die richtige gewesen war. Marie hatte sich nach den furchtbaren Vorfällen auf der Jugendfarm zunächst völlig abgeschottet und dann auf Drängen ihrer Eltern eine Therapie begonnen. Doch schon nach einigen Wochen brach sie die Besuche bei dem Psychologen ab. «Ich will daran nicht mehr denken und auch nicht mehr darüber sprechen», hatte sie kategorisch erklärt. An ihrem Entschluss war nicht zu rütteln. Der Psychologe hatte ihnen schließlich geraten, Marie nicht zu einer Therapie zu drängen. Was sie am meisten brauche, sei Ruhe, um Abstand zu gewinnen von den schrecklichen Erlebnissen.
Steenhoff hatte Maries Entschluss respektiert, zugleich aber mit Sorge betrachtet, dass sie für ihr Alter ungewöhnlich ernst und kontrolliert wirkte. In manchen Momenten fand er Marie wie erstarrt.
All das ging auf sein Konto. Da konnten seine Kollegen und Ira reden, wie sie wollten. Hätte er damals schneller reagiert und die richtigen Schlüsse aus dem verwirrenden Puzzle um Hans Bilg gezogen, wäre seine Tochter nicht in den Wahnsinn mit hineingezogen worden und hätte eine ganz normale Jugendliche sein können.
Doch dann kam dieser tapsige Vierbeiner in ihre Familie, und Marie wirkte von Tag zu Tag gelöster. Plötzlich tauchten auch einige ihrer Schulfreundinnen wieder auf dem Hof auf, die sich aus Unsicherheit von Marie zurückgezogen hatten.
Ben erwies sich als genialer Brückenbauer. Marie ging nach der Schule kaum noch allein mit dem Hund nach draußen. Meist begleitete eines der Mädchen sie. Als sie Marie eines Morgens in ihrem Zimmer laut über Ben lachen hörte, hatte Ira vor Erleichterung geweint.
Schneller als er es zugeben wollte, hatte auch Steenhoff den Hund ins Herz geschlossen. Dennoch war er froh, dass Ira während Maries Aufenthalt in Neuseeland meistens mit dem Hund rausging.
Auch heute hätte er lieber etwas länger geschlafen, als vor der Arbeit mit dem Rad durchs Moor zu fahren.
Wenigstens kam ihm niemand entgegen. Graue Wolkengebilde türmten sich am Himmel, und ein kühler Wind kündigte den nahenden Winter an. Auf den feuchten Wiesen stand nur noch vereinzelt das Vieh. Man hätte die matschigen Wege, die schnurgeraden Gräben, die geduckten Bauernhöfe und das flache Land an diesem Novembermorgen auch als trist bezeichnen können, aber Steenhoff liebte die frische, klare Luft und die Melancholie der norddeutschen Landschaft. Nirgendwo, davon war er überzeugt, türmten sich die Wolken zu so imposanten Gebilden auf wie über dem Moor und den endlos wirkenden Wiesen.
Nach einer halben Stunde machte er sich auf den Rückweg. Etwa hundert Meter vor ihrem Haus begann der Hund zu bellen und an der Leine zu zerren. Überrascht sah Steenhoff, wie Ira gerade aus ihrem Wagen stieg und sich suchend umsah. Als sie Steenhoff und Ben erblickte, winkte sie von weitem und hielt triumphierend etwas Helles in die Luft. Steenhoff winkte zögernd zurück. Er war froh, Ira zu sehen, aber er wusste nicht, was ihn erwartete. Eins von Iras analytischen Beziehungsgesprächen, die er so sehr hasste, oder ein verbaler Frontalangriff, gestärkt durch die beste Freundin.
Doch wieder einmal überraschte ihn Ira.
«Das ist ja toll, dass du schon mit Ben rausgegangen bist.» Sie ging strahlend auf ihren Mann zu, umarmte ihn und sah dann amüsiert an ihm herunter.
«Wow, diese Kombi kann locker mit einem rosafarbenen Hausanzug für ambitionierte Hausfrauen konkurrieren! Echt schick.»
Steenhoff lächelte gequält. «Ben musste heute Morgen so dringend
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