Brandfährte (German Edition)
sie beobachtete.
«Navideh, was ist passiert?» Seine Stimme klang besorgt.
«Nichts.»
Ein unangenehmes Schweigen breitete sich in dem kleinen Zimmer aus.
«Du siehst aus, als hättest du drei Nächte lang durchgeheult», stellte Steenhoff unerbittlich fest.
Petersen rang mühsam um ihre Fassung. Das Letzte, was sie zurzeit gebrauchen konnte, war ein Kollege, der sich plötzlich für ihr Privatleben interessierte. Sie wollte arbeiten, irgendwie. Nicht mehr daran denken. Ein paar Stunden lang. Nur abschalten.
Sie bemerkte unwillig, wie sich ihre Augen wieder mit Wasser füllten.
‹Jetzt nur nicht heulen. Nicht schon wieder.›
«Ich glaube, ich mache uns beiden mal einen echten persischen Tee zur Stärkung», hörte sie ihren Kollegen sagen.
Das war zu viel.
Vergeblich versuchte sie, den Sturm, der sich in ihrem Inneren ausbreitete und ihr die Kehle zuschnürte, zu unterdrücken. Peinlich berührt verbarg sie ihr Gesicht in beiden Händen und konnte nicht verhindern, dass sie laut aufschluchzte.
Steenhoff war mit einem Satz bei ihr, zog sie hoch und nahm sie fest in den Arm.
Petersen wehrte sich nicht. Ihr Gesicht an seine Brust gedrückt, ließ sie ihrem Schmerz und ihrer Angst freien Lauf.
Steenhoff wartete geduldig, aber von Minute zu Minute stieg seine Anspannung.
«Ist etwas mit deiner Mutter, Navideh?», fragte er schließlich leise. Petersen schüttelte den Kopf. Er legte ihr den Arm um die Schultern: «Dein Bruder war wieder da und hat dich bedroht.» Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
Bevor Petersen antworten konnte, ging die Tür zu dem kleinen Büro auf. Tim Berger blieb wie angewurzelt stehen und starrte seine beiden Kollegen, die sich noch immer eng umfasst hielten, verblüfft an.
«Oh, ich störe wohl gerade.»
«Ja, sei so nett und lass uns allein», erwiderte Steenhoff und wandte sich schon wieder Petersen zu. Erst als Berger schon verschwunden war, wurde ihm klar, wie die Szene auf seinen Kollegen gewirkt haben musste. Er würde später mit Berger sprechen. Doch bevor er sich Petersen wieder richtig zuwenden konnte, wurden sie erneut unterbrochen. Diesmal war es Rüttger. Er musterte Petersen erschüttert. Ihre Tränen hatten die schwarze Wimperntusche rund um ihre verweinten dunklen Augen verschmiert.
Anstatt wieder aus dem Zimmer zu gehen, schloss Rüttger die Tür hinter sich und strich Petersen mitfühlend über den Rücken.
«Mein Gott, Navideh. Was ist denn mit dir passiert?»
Petersen begann erneut zu schluchzen.
Fragend sah Rüttger Steenhoff an. Sein Kollege zuckte hilflos mit den Schultern.
«Was immer passiert ist, das muss raus. Danach wird es dir bessergehen», sagte Rüttger, und seine warme, tiefe Stimme klang, als spräche er mit einem Kind. Mit der linken Hand suchte er etwas in seiner Jackentasche und reichte Petersen schließlich eine Packung Papiertaschentücher.
Nach einer Weile hatte sie sich wieder so weit in ihrer Gewalt, dass sie sich langsam von Steenhoff löste. Behutsam setzte Rüttger sie auf ihren Stuhl.
«Es ist wegen Vanessa», begann sie schließlich. Wieder wechselten die beiden Männer einen raschen Blick. «Sie hat sich neu verliebt. In eine sechs Jahre ältere Frau. Angeblich gibt es so viele Dinge, die sie teilen können.» Sie schien die letzten Worte regelrecht herauszuwürgen. Steenhoff war wie vom Donner gerührt. Er konnte nicht glauben, was er da hörte. Die beiden Frauen wirkten in ihrer Beziehung immer so stabil und zugleich lebendig. Aber was wusste er schon wirklich über seine Kollegin? Nichts. Oder nur wenig. Die letzte private Verabredung lag bereits ein Vierteljahr zurück.
«Angeblich ist die Frau immer für sie da, hat Zeit, mit ihr ins Kino zu gehen oder ins Theater und …», Petersen machte die Stimme ihrer Freundin nach, «‹… setzt die richtigen Prioritäten im Leben›. Sie sagt, ich würde seit Monaten nur noch im Präsidium hocken.»
Keiner der beiden Männer erwiderte etwas. Sie zog ein neues Taschentuch aus der Packung und schnäuzte sich kräftig.
Dann lächelte sie schief. «Also mit anderen Worten: Der übliche Stress, wenn man im 1 . K arbeitet.»
«Aber sie wird dich doch nicht sitzenlassen, nur weil du mal viel zu tun hast?»
«Es wäre nicht die erste Beziehung, die scheitert, weil sich eine Frau vernachlässigt fühlt», gab Rüttger zu bedenken. Steenhoff atmete tief aus. «Du musst um sie kämpfen, Navideh. Ihr zeigen, was sie dir bedeutet und sie nicht einfach ziehen lassen.» Er
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