Brandfährte (German Edition)
sah Rüttger an. «Ich meine, Navideh verlässt man doch nicht, wenn man noch ganz bei Trost ist! Oder?»
Rüttger nickte bestätigend.
Petersen sah die Männer dankbar an.
«Schnapp dir Vanessa, geh mit ihr heute Abend essen und redet endlich miteinander. Du wirst sehen, der Flirt mit der anderen wird schnell wieder vergessen sein.»
Rüttger, der hinter Petersen stand, sah ihn skeptisch an.
«Ich glaube nicht, dass es so einfach wird», antwortete Petersen. «Aber du hast recht. Ich sollte nicht so schnell aufgeben.»
Sie schnäuzte sich ein weiteres Mal und ging entschlossen zum Telefon. «Ich rufe sie gleich an.»
«Und ich bringe Manfred in der Zeit bei, wie man persischen Tee für die Mannschaft kocht», sagte Steenhoff, nahm den Wasserkocher, die Kanne und den Tee und schob Rüttger in Richtung Tür. Über Petersens Gesicht huschte ein Lächeln. Dann griff sie zum Telefon.
Im Flur sah Rüttger seinen Kollegen ernst an.
«Arme Navideh. Da geht man ganz schnell auf dem Zahnfleisch, wenn der Partner im Begriff ist, einen einfach auszutauschen.» Steenhoff erwiderte nichts. Er wusste, dass Rüttger an seine Frau dachte. Auch sie hatten früher häufig Streit über fehlende gemeinsame Zeit gehabt. «Es gab Wochen, da waren mir irgendwelche Fälle wichtiger als meine Ehe», hatte Rüttger ihm einmal selbstkritisch erzählt. Schweigend gingen sie gemeinsam den Flur in Richtung Küche hinunter. Jeder hing seinen Gedanken nach. Sie hatten in ihrem Kommissariat jeden Tag mit Tod, Schmerz und Abschied zu tun. Aber das war die Arbeit, der Alltag und vor allem das Leben der anderen.
Der Abstand zum Leid anderer war nötig, um weiterarbeiten zu können. Kam der Tod eines geliebten Menschen in das eigene Leben, fühlte sich Steenhoff genauso verzweifelt und verloren wie jeder andere.
Am Ende des Flurs entdeckte er Berger, der ihn mit einem neugierigen Seitenblick bedachte.
Froh über die Ablenkung, drückte Steenhoff Rüttger die Kanne und den Tee mit den Kräutern in die Hand. «Ich muss vor der Besprechung unbedingt noch mit Tim reden. Sei so nett, koch du bitte den Tee.»
Während der Besprechungsrunde sah Petersen mitgenommen und erschöpft aus, aber sie wirkte gefasst. Sie hatte Vanessa nicht erreicht und wollte es in der Mittagspause erneut versuchen.
Sie hatten gerade eine knappe Stunde beieinandergesessen und die weiteren Schritte beraten, als die Tür zum Besprechungsraum aufging und der Leiter der Kriminalpolizei ins Zimmer trat.
«Tut mir leid, dass ich euch störe. Aber es ist äußerst wichtig. Frank, können wir dich bitte sprechen?»
Erst jetzt sah Steenhoff, dass hinter Jürgen Tetzlaff ein zweiter Mann in dem dunklen Flur stand. Als er aufstand, erkannte er in ihm seinen Kollegen Onno Frehls.
Überrascht folgte Steenhoff den Männern auf den Flur.
«Was gibt es denn so Dringendes?»
Wieder ergriff Tetzlaff das Wort. «Darüber möchten wir nicht mit dir hier im Stehen sprechen. Wir gehen zu Frehls ins Büro. Da sind wir ungestört.»
Steenhoff nickte und fing Frehls’ Blick auf. Sein Kollege hatte ihn angesehen, als würde er auf irgendetwas warten. Und während sie schweigend die wenigen Meter zu Frehls’ Büro gingen, bemerkte Steenhoff, dass Frehls ihn weiter beobachtete.
Besorgt folgte er den Männern. In Sekundenschnelle hatte er alle denkbaren beruflichen und privaten Hiobsbotschaften durchgespielt. Doch keine passte zu dem Verhalten seiner beiden Kollegen. Im Zimmer bot Frehls ihm stumm einen Stuhl an. Unruhig setzte sich Steenhoff. Er spürte, was immer sie ihm gleich berichten würden, es würde von einigem Gewicht sein. Dennoch traf ihn die Nachricht wie ein Hammerschlag.
Ab sofort würde nichts mehr in seinem Leben so sein wie zuvor.
20
Zufrieden schlug er das Notizbuch zu. Doch dann überlegte er es sich noch einmal anders und begann, die Eintragungen der vergangenen Tage ein zweites Mal zu lesen.
Am Anfang seiner Beobachtungen war Frank Steenhoff nichts anderes als ein Name gewesen. Ein Polizeibeamter, der in Live-Interviews meist knappe, überlegte Antworten gab und stets etwas ungehalten wirkte, sobald sich ein Reporter mit seinem Mikrophon vor ihm aufbaute. Er wusste nicht, wie alt der Mann mit den kurzen dunkelblonden Haaren war. Er kannte weder seine Vorlieben noch seine Schwächen, weder seine Familie noch seine Freunde, und er wusste nicht, was der Mann in seiner Freizeit anfing.
Noch nicht. Aber er war ein geübter Jäger.
Innerhalb weniger Tage
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