Brandfährte (German Edition)
die hier in den vergangenen Wochen Zugang zum Haus hatten. Aber die waren alle nett und freundlich. Sonst hätte ich sie auch gar nicht reingelassen.»
«Gehe sie bitte trotzdem noch mal durch. Gab es irgendetwas, an das du dich erinnerst? Einen Geruch, eine Eigenart, eine bestimmte Geste?»
Ira schwieg. Als er nachfragte, ob sie noch dran sei, erklärte sie ihm ungehalten, dass sie gerade die Namen auf ihrem Zettel noch einmal durchgehe.
«Also, der eine neue Yogaschüler hat einen leichten Sprachfehler. Er lispelte.» Sie stockte und schien ihre weitere Liste wie Tarotkarten zu befragen. «Ein anderer Mann, der Maries Sattel für sein Kind kaufen wollte, war noch bei mir im Büro und hat mir die Adresse einer Mosterei für unser Obst aufgeschrieben.»
«Wie alt war er?», fragte Steenhoff gespannt.
«Ich schätze Ende 50 , Anfang 60 », antwortete Ira. «Vielleicht war es auch schon der Großvater, das weiß ich nicht mehr genau. Er hat den Sattel ja auch nicht gekauft. Und dann erinnere ich mich noch an den Yogainteressierten, bei dem Ben so knurrte.»
«Wieso hat Ben geknurrt?»
«Das weiß ich nicht. Mir war das ganz unangenehm. Ich habe schon gedacht, wenn so ein Verhalten häufiger vorkommt, müssen wir mit Ben noch mal in die Hundeschule. Der war so Anfang 40 . Er benutzte ständig das Wort ‹irgendwie›. Aber er war ein ausgesprochen sympathischer Mensch und dabei noch so attraktiv.»
23
Steenhoff bog in eine Seitenstraße ein. Vor ihm lag eine Brücke, die über die träge dahinfließende Wümme führte. Er stieg aus und schlug einen Weg ein, den er mit Ira an sonnigen Tagen schon oft gegangen war. Die schmale Straße war asphaltiert und bei Skatern und Radfahrern gleichermaßen beliebt. Nur alle 150 Meter stand eine Laterne und warf ihren matten gelben Schein auf den dunkelgrauen Straßenbelag. Die reetgedeckten Häuser lagen hinter hohen Hecken und Zäunen. Sobald der Bewuchs der Vorgärten einen Einblick erlaubte, war Ira jedes Mal stehen geblieben und hatte bewundernde Kommentare abgegeben. Doch Steenhoff hatte an diesem Abend keinen Blick für geschmackvoll ausgeleuchtete Wohnzimmer.
In Gedanken war er bei seinem Flipchart im Büro und notierte, was er über den Mann wusste, der Martina Benke töten und ihn, Steenhoff, vernichten wollte. Er bemerkte nicht, dass eine Frau, die ihren Hund in der Dunkelheit spazieren führte, ihn misstrauisch grüßte und wenig später ein Radfahrer viel zu knapp an ihm vorbeifuhr. Steenhoff füllte Seite für Seite seines imaginären Flipcharts. Nach einer Stunde stand er wieder vor dem Wagen. Er hatte von der stillen, im Dunkeln liegenden Umgebung kaum etwas wahrgenommen.
Endlich wusste er, was er zu tun hatte. Es war nur eine winzige Chance. Aber er hatte nichts anderes.
Er benachrichtigte kurz Ira, wendete seinen Wagen und fuhr in Richtung Bremen zurück.
Als er in den kleinen Innenhof des
Weser Kuriers
einbog, hatten die meisten Angestellten und Redakteure schon Feierabend gemacht. Der Pförtner, der den Schlagbaum vor der Toreinfahrt üblicherweise wie einen Grenzpfahl bewachte, war sofort hinausgeeilt, um ihn aufzufordern, den leeren Parkplatz wieder zu verlassen. Der Mann machte sich Vorwürfe. Die Fernsehshow auf seinem kleinen Bildschirm unter dem Schreibtisch hatte ihn so in Anspruch genommen, dass er es versäumt hatte, den Schlagbaum wieder hinunterzulassen. Nun hatte er einen Fremden im Innenhof stehen. Wütend klopfte er an die Beifahrerscheibe. Doch statt eines Grußes fragte der Fahrer barsch: «Ist Andrea Voss noch da?»
«Nein, die ist schon weg. Aber Sie dürfen hier nicht stehen bleiben. Das ist ein Firmengrundstück», herrschte der Pförtner den Mann an.
«Mordkommission Bremen. Ich muss in Ihr Archiv», sagte Steenhoff mit einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. «Ist noch jemand da?»
Der Pförtner zögerte, dann nickte er unsicher und ging zur Eingangstür, um sie mit seiner Chipkarte zu öffnen.
«Zweiter Stock. Wenn Sie die Treppe nehmen, kommen Sie direkt darauf zu. Ich werde Sie ankündigen», rief der Pförtner Steenhoff hinterher, der bereits eilig die Treppe hinauflief und dabei gleich mehrere Stufen auf einmal nahm.
Die Archivarin nahm gerade das Telefon ab, als Steenhoff die Tür aufriss.
Steenhoff lächelte sie gewinnend an und deutete auf den Telefonhörer. «Das ist nur der Pförtner, der Ihnen meinen Besuch anmelden will. Er hat Angst, Sie könnten sich erschrecken, wenn Sie hören, dass ich von der Kripo
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