Brandherd
ins Gesicht. »Das ist doch genau das, was das Miststück will. Dass du aufgibst. Eine Versagerin bist, die nur Scheiße gebaut hat.«
»Ich bin eine Versagerin und habe nur Scheiße gebaut.«
»Was redest du da für einen elenden Mist«, sagte er.
»Sie hat ihn meinetwegen umgebracht«, fuhr sie in demselben teilnahmslosen, leiernden Tonfall fort.
»Sie hat ihn umgebracht, weil sie es wollte. Und wir können entweder hier sitzen und uns in unserem Selbstmitleid suhlen, oder wir können uns überlegen, was wir unternehmen wollen, ehe sie den nächsten von uns erledigt.«
Meine Nichte ließ sich jedoch nicht trösten. Indirekt hatte sie uns alle Carrie vor langer Zeit ausgeliefert.
»Carrie will doch gerade, dass du dir die Schuld gibst«, sagte ich zu ihr.
Lucy antwortete nicht, und ich wandte mich um, um sie anzusehen. Sie hatte ihren schmutzigen Drillichanzug und Stiefel an, und ihr Haar war zerzaust. Sie roch immer noch nach Feuer, weil sie nicht geduscht hatte. Sie hatte, soweit ich wusste, weder gegessen noch geschlafen. Ihr Augen wirkten flach und hart. Ihr kaltes Funkeln zeugte von de r Entscheidung, die sie getroffen hatte, und ich hatte diesen Blick bislang immer nur dann gesehen, wenn Hoffnungslosigkeit und Feindseligkeit sich in selbstzerstörerischer Weise gegen sie selbst gekehrt hatten. Ein Teil von ihr wollte sterben oder war vielleicht bereits gestorben. Wir erreichten mein Haus um halb sechs, und die schräg stehenden Sonnenstrahlen waren heiß und hell, der Himmel dunstig, doch wolkenlos. Ich nahm die Zeitungen von den Treppenstufen mit ins Haus, und die Schlagzeile des Tages bewirkte, dass ich mich erneut hundeelend fühlte. Obwohl Bentons Identifizierung nur eine vorläufige war, nahm man als gesichert an, dass er unter höchst verdächtigen Umständen bei einem Brand umgekommen war, während er das FBI bei seiner landesweiten Jagd nach der flüchtigen Mörderin Carrie Grethen unterstützte. Die Ermittlungsbeamten hatten sich nicht dazu äußern wollen, weshalb Benton sich in dem kleinen Lebensmittelgeschäft aufgehalten hatte, das abgebrannt war, und ob man ihn womöglich dorthin gelockt hatte.
»Was wollen Sie hiermit machen?«, fragte Marino. Er hatte den Kofferraum geöffnet, worin die drei großen braunen Tüten lagen, die die persönlichen Dinge aus Bentons Hotelzimmer enthielten. Ich konnte mich nicht gleich entscheiden.
»Wollen Sie, dass ich sie in Ihr Büro lege?«, fragte er. »Ich kann sie auch durchsehen, wenn Sie das möchten, Doc.«
»Nein, nein, lassen Sie sie einfach hier.«
Steifes Papier knisterte, als er die Tüten ins Haus und den Flur hinunter trug. Seine Schritte waren schwerfällig und langsam, und als er wieder zurückkehrte, stand ich immer noch in der offenen Tür.
»Ich melde mich später wieder«, sagte er. »Und lassen Sie ja diese Tür nicht offen, haben Sie gehört? Die Alarmanlage bleibt eingeschaltet, und Sie und Lucy bleiben besser im Haus.«
»Ich glaube, da können Sie ganz unbesorgt sein.«
Lucy hatte ihr Gepäck in ihrem Zimmer in der Nähe der Küche fallen lassen und starrte durch das Fenster dem davonfahrenden Marino hinterher. Ich trat hinter sie und legte ihr sanft die Hände auf die Schultern.
»Gib nicht auf«, sagte ich und lehnte die Stirn an ihren Nacken. Sie wandte sich nicht um, und ich spürte, wie sie vor Kummer erschauderte.
»Wir stecken beide in dieser Sache drin, Lucy«, fuhr ich ruhig fort. »Wir sind doch die Einzigen, die noch übrig sind. Nur noch du und ich. Benton hätte gewollt, dass wir das gemeinsam durchstehen. Er hätte nicht gewollt, dass du aufgibst. Was soll ich denn dann tun, hm? Du kannst doch nicht aufgeben und mich im Stich lassen.«
Sie begann zu schluchzen.
»Ich brauche dich.« Ich konnte kaum sprechen. »Mehr als je zuvor.«
Sie wandte sich um und klammerte sich an mich auf eine Weise, wie sie es früher immer getan hatte, als verängstigtes Kind, das sich danach sehnte, dass jemand sich seiner annahm. Ihre Tränen benetzten meinen Hals, und eine Weile standen wir so mitten in einem Zimmer, das immer noch mit Computerzubehör und Schulbüchern voll gestopft war und dessen Wände mit den Heldenbildern ihrer Jugend gepflastert waren.
»Es ist meine Schuld, Tante Kay. Es ist alles meine Schuld. Ich habe ihn umgebracht!«, schrie es aus ihr heraus.
»Nein«, sagte ich und hielt sie an mich gedrückt, während meine Tränen flossen.
»Wie sollst du mir je verzeihen können? Ich habe ihn dir
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