Brandherd
weggenommen!«
»Das stimmt doch gar nicht. Du hast doch überhaupt nichts getan, Lucy.«
»Ich kann damit nicht leben.«
»Du kannst, und du wirst es tun. Wir müssen einander dabei helfen, damit zu leben.«
»Ich habe ihn auch geliebt. Er hat so viel für mich getan. Mir eine Chance beim Bureau gegeben. Mich unterstützt. In allem.«
»Wir werden damit fertig werden.«
Sie löste sich von mir, sackte auf der Bettkante zusammen und wischte sich das Gesicht mit dem Zipfel ihres rußbeschmierten blauen Hemdes ab. Sie stützte die Ellenbogen auf die Knie, senkte den Kopf und starrte auf ihre eigenen Tränen, die wie Regen auf den Hartholzboden tropften.
»Du musst mir glauben, was ich dir jetzt sage«, sagte sie mit leiser, harter Stimme. »Ich bin mir nicht sicher, dass ich weitermachen kann, Tante Kay. Jeder Mensch hat so einen Punkt, wo Schluss ist.« Ihr Atem ging stoßweise. »Wo er nicht weiterkann. Ich wünschte, sie hätte mich an seiner Stelle getötet. Vielleicht hätte sie mir damit einen Gefallen getan.«
Ich betrachtete sie mit wachsender Entschlossenheit, wie sie sich unter meinen Augen den Tod herbeiwünschte.
»Wenn ich nicht mehr weiterkann, Tante Kay, dann musst du das verstehen und dir keine Vorwürfe machen oder so was«, murmelte sie und wischte sich das Gesicht mit dem Hemdsärmel ab.
Ich ging zu ihr und hob ihr Kinn empor. Sie war heiß und roch nach Rauch, ihr Atem und ihr Körper rochen schlecht.
»Jetzt hörst du mir mal zu«, sagte ich mit einem Nachdruck, der ihr in der Vergangenheit Angst eingejagt hätte. »Du schlägst dir diese verdammte Vorstellung auf der Stelle aus dem Kopf. Du bist froh, dass du nicht sterben musstest, und du begehst auch keinen Selbstmord, falls es das ist, was du andeuten wolltest, und ich glaube, das wolltest du. Weißt du eigentlich, worum es beim Selbstmord geht, Lucy? Es geht um Zorn, um Vergeltung. Es ist der endgültige Tritt gegens Schienbein. Willst du Benton das antun? Willst du Marino das antun? Willst du mir das antun?«
Ich hielt ihr Gesicht mit den Händen, bis sie mich ansah.
»Willst du zulassen, dass dies wertlose Stück Dreck Carrie dir das antut?«, fragte ich in eindringlichem Ton. »Wo ist denn der Kampfgeist, den ich an dir kenne?«
»Ich weiß nicht«, flüsterte sie mit einem Seufzer.
»Doch, das weißt du«, sagte ich. »Wage ja nicht, mein Leben zu ruinieren, Lucy. Es hat schon genug gelitten. Wage es nicht, mich dazu zu zwingen, den Rest meiner Tage mit dem nimmer endenden Echo eines Pistolenschusses in meinem Kopf zu verbringen. Ich hätte nicht gedacht, dass du ein Feigling bist.«
»Ich bin kein Feigling.«
Sie sah mir fest in die Augen.
»Morgen schlagen wir zurück«, sagte ich. Sie nickte und schluckte schwer.
»Geh jetzt duschen«, sagte ich.
Ich wartete, bis ich das Wasser im Bad laufen hörte, und ging in die Küche. Wir mussten essen, obwohl ich mi r sicher war, dass wir beide keine Lust dazu haben würden. Ich taute Hühnerbrüste auf und kochte sie mit allem, was ich an frischen Gemüsen finden konnte, in Brühe. Ich ging verschwenderisch mit Rosmarin, Lorbeer und Sherry um, ließ jedoch alles Scharfe, sogar den Pfeffer, weg, weil wir beide eher etwas Beruhigendes brauchten.
Marino rief zweimal an, während wir aßen, um sich zu vergewissern, dass es uns gut ging.
»Sie können gern rumkommen«, sagte ich zu ihm. »Ich habe eine Suppe gekocht, die allerdings nach Ihren Maßstäben eher dünn ausgefallen ist.«
»Mir fehlt nichts«, sagte er, und ich wusste, dass er das nur so sagte.
»Ich habe reichlich Platz, falls Sie Lust haben, über Nacht zu bleiben. Ich hätte Sie das schon früher fragen sollen.«
»Nein, Doc. Ich habe noch zu tun.«
»Ich gehe gleich morgen früh ins Büro«, sagte ich.
»Ich begreife nicht, wie Sie das fertig bringen«, antwortete er in missbilligendem Ton, als wäre es irgendwie unangebracht, in dieser Situation an Arbeit zu denken.
»Ich habe einen Plan. Und den werde ich ausführen, komme, was wolle«, sagte ich.
»Ich hasse es, wenn Sie anfangen, irgendwas zu planen.«
Ich legte auf und räumte die leeren Suppenteller vom Küchentisch, und je mehr ich über das nachdachte, was ich vorhatte, desto besessener wurde ich.
»Würde es dir Schwierigkeiten machen, einen Hubschrauber zu besorgen?«, fragte ich meine Nichte.
»Was?« Sie sah mich erstaunt an.
»Du hast richtig gehört.«
»Darf ich fragen, wofür? Ich kann den nämlich nicht einfach bestellen wie ein
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