Brandherd
den Anfang einer Migräne. Ich merkte es immer, wenn mein ganzer Nacken und mein Kopf zu schmerzen begannen und ich ein flaues Gefühl im Magen hatte. Ich begleitete Marino zur Tür. Ich wusste, ich hatte ihn verletzt. Er platzte vor Kummer und wusste nicht, wie er ihn loswerden sollte, weil er sich nicht darauf verstand, seine Gefühle zu zeigen. Ich war mir nicht einmal sicher, dass er wusste, was er fühlte.
»Er ist gar nicht weg, wissen Sie«, sagte er, als ich die Tür aufmachte. »Ich glaube es nicht. Ich habe es nicht selbst gesehen, und ich glaube es nicht.«
»Sie werden ihn bald nach Hause lassen«, sagte ich. Grillen zirpten im Dunkel, und Motten schwärmten im Schimmer der Lampe über meinem Eingang. »Benton ist tot«, sagte ich mit überraschender Festigkeit. »Nehmen Sie ihm nichts, indem Sie seinen Tod leugnen.«
»Er wird demnächst wieder aufkreuzen.« Marinos Stimme klang höher als gewöhnlich. »Warten Sie's nur ab. Ich kenne den Hund doch. Der geht so leicht nicht unter.«
Doch Benton war so leicht untergegangen. Wie oft passierte das - Versace auf dem Heimweg von einem Cafe die Zeitung unter dem Arm, oder Lady Diana, die ihren Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte. Ich schloss die Tür, nachdem Marino losgefahren war. Ich schaltete die Alarmanlage ein, was mittlerweile ein Reflex war, der mir manchmal Schwierigkeiten bereitete, wenn ich vergaß, dass ich mein Haus gesichert hatte und eine Schiebetür zum Garten öffnete. Lucy lag im dunklen Zimmer auf der Couch ausgestreckt und sah fern. Ich setzte mich neben sie und legte ihr die Hand auf die Schulter.
Wir sprachen nicht, während ein Dokumentarfilm über Gangster in den frühen Tagen von Las Vegas weiterlief. Ich strich ihr übers Haar, und ihre Haut fühlte sich fiebrig an. Ich fragte mich, was in ihrem Innern vorgehen mochte. Auch das machte mir große Sorgen. Lucys Gedanken waren anders. Sie waren entschieden ihre eigenen, und kein Stein der Weisen, keine Psychotherapie oder irgendeine Institution konnte sie deuten. Eins hatte ich aber immerhin schon vom Anfang ihres Lebens an begriffen: Am meisten zählte, was sie nicht sagte, und Lucy sprach nicht mehr von Janet.
»Lass uns schlafen gehen, sodass wir morgen zeitig loskommen, Madame Pilot«, sagte ich.
»Ich glaube, ich schlafe einfach hier.« Sie richtete die Fernbedienung aus und stellte leiser.
»Vollständig angezogen?«
Sie zuckte die Achseln.
»Wenn wir so um neun am HeloAir sein könnten, rufe ich Kirby von dort an.«
»Und wenn die nun sagen, dass du nicht kommen sollst?«
»Ich werde ihnen sagen, ich sei bereits unterwegs. Ne w York City ist zur Zeit republikanisch. Wenn nötig, rufe ich meinen Freund Senator Lord zu Hilfe, und der schickt dann den Gesundheitsbeauftragten und den Bürgermeister auf den Kriegspfad, und ich kann mir nicht vorstellen, dass Kirby das möchte. Da ist es doch einfacher, uns landen zu lassen, findest du nicht auch?«
»Die haben doch wohl keine Bodenabwehrraketen, wie?«
»Doch, und die heißen Patienten«, sagte ich, und zum ersten Mal seit Tagen lachten wir.
Weshalb ich so gut schlief, wie ich schlief, konnte ich mir auch nicht erklären, doch als mein Wecker um sechs Uhr klingelte, drehte ich mich auf die andere Seite. Mir wurde klar, dass ich seit kurz vor Mitternacht durchgeschlafen hatte, und das waren Anzeichen für eine Heilung, eine Erneuerung, die ich verzweifelt nötig hatte. Die Niedergeschlagenheit war nur noch ein Schleier, der beinahe durchsichtig war, und ich fing an, Hoffnung zu schöpfen. Ich tat jetzt das, was Benton von mir erwartet hätte, allerdings nicht um seinen Mord zu rächen, denn so etwas hätte er nicht gewollt.
Sein Wunsch wäre es gewesen, Schaden von Marino, Lucy und mir abzuwenden. Er hätte gewollt, dass ich das Leben anderer Menschen schützte, die ich gar nicht kannte, anderer argloser Menschen, die in Krankenhäusern oder als Models arbeiteten und in jenem Sekundenbruchteil zu einem schrecklichen Tod verurteilt wurden, den ein Monster brauchte, um seine bösartigen Blicke, die vor Neid brannten, auf sie zu richten. Lucy ging eine Runde laufen, als die Sonne aufging, und wenn es mich auch nervös machte, dass sie allein draußen war, wusste ich doch, dass sie ihre Pistole in der Rückentasche hatte, und schließlich konnte keine von uns ihr Leben wegen Carrie einfach anhalten. Sie schien allerdings di e besseren Karten zu haben. Wenn wir weitermachten wie gewohnt, würden wir vielleicht sterben. Wenn
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