Brandherd
allzu leicht verfehlen konnte. Sie sprach von einer Gegend Virginias, die praktisch nur aus Pferdefarmen bestand, und ehrlich gesagt, die meisten davon sahen in meinen Augen völlig gleich aus. Ich bat sie, mir ein paar Anhaltspunkte zu geben.
»Ja, also, es ist genau gegenüber vom Staatsgefängnis, auf der anderen Seite des Flusses. Wo die Häftlinge auf den Rinderfarmen arbeiten und so«, setzte sie hinzu. »Also wissen Sie wahrscheinlich, wo das ist.«
Leider ja. Ich war dort gewesen, wenn Häftlinge sich in ihrer Zelle aufgehängt oder gegenseitig umgebracht hatten. Ich bekam eine Telefonnummer und rief vorsichtshalber auf der Farm an, um sicherzugehen, dass es in Ordnung war, wenn ich kam. Wie es privilegierte Pferdeleute so an sich hatten, schienen sie nicht im Geringsten an meinem Anliegen interessiert, sondern erklärten bloß, dass ich den Hufschmied in der Scheune finden würde, die grün sei. Ich kehrte in mein Schlafzimmer zurück, um ein weißes Polohemd, Jeans un d Schnürstiefel anzuziehen, und rief Marino an.
»Sie können mitkommen, aber ich mache das auch gern allein«, erklärte ich.
Ein Baseballspiel lief laut in seinem Fernseher, und das Telefon machte ein dumpfes Geräusch, als er es irgendwo absetzte. Ich konnte ihn atmen hören.
»Mist«, sagte er.
»Ich weiß«, stimmte ich zu. »Ich bin auch müde.«
»Geben Sie mir eine halbe Stunde.«
»Ich hole Sie ab, dann können Sie sich ein bisschen mehr Zeit lassen«, bot ich an.
»Ja, das ist gut.«
Er wohnte südlich der James in einem Viertel mit baumbestandenen Grundstücken unmittelbar neben dem von kleinen und großen Geschäftsstraßen durchschnittenen Korridor, der Midlothian Turnpike genannt wurde und wo man Handfeuerwaffen oder Motorräder oder Bulletburger kaufen oder sich eine Autowäsche ohne Bürsten mit oder ohne Wachs gönnen konnte. Marinos aluminiumverkleidetes Häuschen stand an der Ruthers Road, um die Ecke von Bon Air Cleaners und Ukrop's. Er hatte im Vorgarten eine große amerikanische Flagge gehisst, das ganze Grundstück war mit Maschendraht eingezäunt, und in einem Carport stand sein Camper.
Das Sonnenlicht brach sich funkelnd an unbeleuchteten Weihnachtslichterketten, die sich um sämtliche Ecken und Kanten von Marinos Behausung zogen. Die vielfarbigen Glühbirnen steckten in Büschen und wanden sich durchs Geäst der Bäume. Es mussten Tausende sein.
»Ich finde immer noch, dass Sie diese Lichter nicht dran lassen sollten«, sagte ich einmal mehr, als er die Tü r aufmachte.
»Ja, ja. Dann nimmt man sie ab und hängt sie an Thanksgiving wieder auf«, sagte er wie jedes Mal. »Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie lange das dauern würde, schon weil jedes Jahr welche dazukommen?«
Seine Besessenheit war mittlerweile so weit gediehen, dass er einen getrennten Sicherungskasten für seine Weihnachtsdekoration hatte, zu der, wenn alles strahlte und funkelte, auch ein Santa Claus mit achtspännigem Rentierschlitten gehörte, außerdem fidele Schneemänner, Zuckerstangen, Spielzeug und in der Mitte des Vorgartens ein Elvis, dessen gefühlvolle Weihnachtslieder aus Lautsprechern drangen. Marinos Dekoration war mittlerweile eine solche Lichterpracht, dass ihr Strahlen meilenweit sichtbar war und sein Haus es bis in Richmonds alternativen Stadtführer Tacky Tour gebracht hatte. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass ein derart ungeselliger Mensch sich nicht an den endlosen Autoschlangen und den Witze reißenden Betrunkenen vor seinem Haus störte.
»Ich versuche immer noch dahinter zu kommen, was eigentlich in Sie gefahren ist«, sagte ich, als er in meinen Wagen stieg.
»Noch vor zwei Jahren hätten Sie so etwas niemals fertig gebracht. Und dann, aus heiterem Himmel, machen Sie aus Ihrem Privatgrundstück einen Rummelplatz. Ich mache mir Sorgen. Von der Brandgefahr mal ganz zu schweigen. Ich weiß, ich habe Ihnen bereits gesagt, was ich davon halte, aber ich kann mir doch nicht verkneifen .«
»Vielleicht kann ich's mir ja auch nicht verkneifen.«
Er legte den Sicherheitsgurt an und holte eine Zigarette heraus.
»Wie würden Sie denn reagieren, wenn ich anfinge, mein Haus auf diese Weise zu schmücken, und das ganze Jahr über die Lichterketten hängen ließe?«
»Genauso wie ich reagieren würde, wenn Sie sich einen Camper kaufen würden und ein zerlegbares Schwimmbecken und anfingen, jeden Tag Bojangles-Brötchen zu essen. Ich würde denken, Sie hätten nicht mehr alle Tassen im Schrank.«
»Und Recht
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