Brandstifter - Paretsky, S: Brandstifter - Burn Marks
einen Blick auf Ralph MacDonald. Echte Freude wärmte sein Lächeln.
»Mac, du altes Haus. Hast gewußt, daß ich dir den doppelten Beitrag abknöpfe, wenn ich dein strahlendes Gesicht nicht zu sehen kriege, was?« Boots langte über meinen Kopf hinweg, um MacDonald auf die Schulter zu hauen. »Und natürlich hast du Marissa Duncan gefunden – du hast schon immer einen Blick für das beste Girl in der Truppe gehabt, stimmt’s?«
Ich duckte mich weg von dem Arm und der herzhaften Jovialität. Marissas Gesicht war erstarrt zum Lächeln eines Mannequins, wie Frauen immer lächeln, wenn sie die falsche Sorte von Kompliment bekommen. In einem Reflex langte sie nach oben und zog die Kragenzipfel ihres Kleides zusammen. Ich brachte es tatsächlich über mich, so etwas wie Mitleid mit ihr zu empfinden.
Als ich von ihr wegschlüpfte, sah ich Rosalyn vor mir, die mit Schmidt und Martinez sprach. Zu meiner Überraschung winkten sie mir zu. Rosalyn drehte sich um, fing meinen Blick auf und ließ ein Lächeln aufblitzen. Der Vorderzahn aus rostfreiem Stahl, den sie in ihrer armen Kindheit bekommen hatte, glitzerte kurz. Sie sprach ernst mit den Bauunternehmern und wandte sich dann wieder mir zu. Sie winkte heftiger, ich solle zu ihr kommen. Ich verzog das Gesicht und bahnte mir den Weg durch die eifrigen Hände, die sich nach ihr ausstreckten.
»Warshawski! Die Jungs und ich haben eben über dich gesprochen. Du hast den kleinen Luis kennengelernt, ja? Er ist mein Vetter – die Schwester meiner Mutter hat in Mexico City einen Deutschen geheiratet und es ihr Leben lang bereut! Du kennst diese alte Liebesgeschichten.« Sie lachte fröhlich. »Wir könnten deine Hilfe brauchen, Warshawski.«
»Du kriegst meine Stimme, Roz. Das weißt du.«
»Ich brauche aber mehr.« Ehe sie weitersprechen konnte, kam Boots an, mit MacDonald im Schlepptau. Er schenkte mir ein flüchtiges Lächeln und nahm Roz zu einer Besprechung im Haus mit.
»Wart auf mich,
gringa,
ja? Wir treffen uns auf der Veranda – in etwa einer Stunde«, rief sie heiser über die Schulter.
Ich stand da und starrte ihrem Rücken nach. Weil ich eine Frau mit einem Männerberuf bin, halten die Leute mich für hart, aber ein wirklich harter und entschlossener Mensch wäre an diesem Punkt in die Stadt zurückgefahren. Statt dessen spürte ich, wie sich die müden alten Fangarme von Verantwortungsgefühlen um mich schlossen. Lotty Herschel sagt mir, das komme daher, daß ich mich als einziges Kind meiner Eltern während schmerzhafter Krankheiten um sie kümmern mußte. Sie meint, nach ein paar Jahren bei einem guten Analytiker könne ich durchaus fähig sein, nein zu sagen, wenn jemand ruft: »Ich brauche dich, Vic.«
Vielleicht hat sie recht – der bittere Gedanke an meine Eltern, der von der Erinnerung an Lottys Worte heraufbeschworen wurde, mischte sich mit dem Geruch des bratenden Rindfleischs, und mir wurde übel. Für einen Augenblick identifizierte ich mich mit dem toten Tier – eingefangen von Menschen, die es gefüttert hatten, damit sie ihm schließlich den Schädel einschlagen konnten. Ich glaubte nicht, daß ich etwas davon essen konnte. Als der Chef am Grill plötzlich verkündete, nun könne man mit dem Tranchieren anfangen, zog ich die Schultern hoch und ging.
Ich suchte nach der Verandaschaukel, die Rosalyn erwähnt hatte, und ging um das Haus herum. Was Boots als Rückseite des Hauses behandelte, war, als das Haus vor hundert Jahren gebaut wurde, der Haupteingang gewesen. Flache Stufen führten zu einer Veranda und zwei Türen mit gravierten Rauchglasscheiben hinauf.
Von der Veranda sah man auf ein Blumenbeet und einen kleinen Zierteich, ein friedliches Fleckchen; die Kapelle und der Lärm der Menge drangen auch hierher, aber niemand sonst hatte sich so weit vom Gewühl entfernt. Ich schlenderte zum Teich hinüber und schaute hinein. Die von der untergehenden Sonne rosig angehauchten Wolken ließen die Wasseroberfläche silbrigblau schimmern. Ein Schwarm Goldfische kam angeschwommen und bettelte um Brot.
Ich schaute sie böse an. »Alle in diesem Land halten die Hand auf – warum solltet ihr Viecher anders sein? Für heute sind mir die kitschigen Gefühle gründlich vergangen.«
Ich spürte, daß jemand hinter mich trat, und drehte mich um, als Michael mir den Arm um die Schulter legte. Ich schüttelte ihn ab und trat ein paar Schritte zurück.
»Michael, was ist denn heute mit dir los? Bist du sauer, weil ich selbst fahren wollte? … Hast du
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