Brandung des Herzens
betreffende Mädchen tatsächlich verheiratet war. Die Lösung dieses Problems beschäftigte teilweise Calebs Gedanken, als er den
Abhang der Schlucht hinaufkletterte, um über den Rand hinwegzuspähen und nach Verfolgern Ausschau zu halten.
In der Nähe war niemand zu sehen. Ungefähr drei Meilen weiter entfernt bewegte sich ein Reiter in nördlicher Richtung auf der inoffiziellen Straße, die an der Vorderseite der Rockies entlanglief. Ein Planwagen strebte ebenfalls nach Norden; seine Maultiere liefen in flottem Trab, in der vergeblichen Anstrengung, dem Unwetter zu entkommen. In Richtung Süden war niemand unterwegs; Caleb konnte zumindest keine Gestalten ausmachen.
Er wartete weitere zehn Minuten. Auf der Straße war keinerlei Bewegung zu sehen bis auf Wolkenschatten, die über das Land hinwegglitten. Zwischen den Wolken schwebte ein Habicht vor einem Stückchen Himmel, so strahlend blau, daß es Caleb die Tränen in die Augen trieb, als er hinaufblickte. Sonnenlicht von der Farbe geschmolzenen Goldes ergoß sich über die Landschaft. Das Licht war heiß und klar und schnitt wie ein weißglühendes Schwert durch die feuchte Kälte in Bodennähe.
Aus der Schlucht drang das sanfte Wiehern eines Hengstes, der nach seinen Stuten rief. Caleb lächelte und streckte sich wohlig, genoß den Frieden des Augenblicks und den frischen Duft von Sonnenlicht und Erde. Es war so still, daß er sogar das leicht mahlende Geräusch hören konnte, während die Pferde Gras rupften. Dann fegte plötzlich ein Windstoß über das Land, beugte Grashalme und Weiden gleichermaßen, flüsternd und murmelnd wie ein unsichtbarer Fluß, als er alles zwischen Wolken und Erde liebkoste.
Der sanft raschelnde Wind weckte Willow. Einen kurzen Moment lang glaubte sie, wieder in West Virginia zu sein - ein kleines Mädchen, das auf der Wiese schläft, während die Pferde seiner Familie rundherum friedlich grasen. Dann fiel ihr wieder ein, daß die Wiese und die Farmen unwiederbringlich zerstört waren und sie selbst kein Kind mehr war. Sie erwachte mit einem Ruck und setzte sich kerzengerade auf in dem von Sonnenlicht gesprenkelten Schatten des Dickichts.
Willow konnte sich nicht erinnern, eingeschlafen zu sein. Ganz sicher erinnerte sie sich nicht, sich auf einem Bett aus Laub, bedeckt mit einer Ölplane, ausgestreckt zu haben.
»Caleb?« rief sie leise.
Niemand antwortete.
Ängstlich stand Willow auf und trat in die winzige Lichtung zwischen den Büschen, ignorierte die Proteste ihres steifen Körpers und ihrer wundgeriebenen Beine. Ein schneller Blick bestätigte ihr, daß die Pferde immer noch flußabwärts an Pflöcken angebunden waren. Ihr Fell schimmerte in der Sonne, als sie die Hälse streckten, um an den letzten Rest von Gras innerhalb der Reichweite ihrer Pflockseile heranzukommen. Willow lauschte angestrengt, hörte jedoch keinerlei Geräusche, die darauf hindeuteten, daß Caleb vielleicht gerade dabei war, trockene Äste zu sammeln oder die Abgeschiedenheit eines Dickichts aufzusuchen.
Andererseits bewegte sich Caleb immer fast lautlos, ganz gleich, unter welchen Umständen.
Willow eilte ebenfalls so leise wie möglich hinter das dichte Buschwerk am Ufer des Baches, entledigte sich rasch ihres klammen Rocks, schlüpfte gleich darauf wieder hinein und ging dann weiter am Ufer entlang, um nach ihren Pferden zu sehen. Die Araber bewegten sich leicht und mühelos, und zwischen ihren stählernen Hufeisen und den Hufen hatten sich keine Steinchen verfangen. Ishmaels Rücken wies keine wunden Stellen auf. Der Hengst war auch nicht erschöpft. Er hatte noch genug Energie, um so zu tun, als hätte ihn Willows Auftauchen erschreckt. Er schnaubte und scheute wie ein Fohlen, dann machte er den Hals lang und wieherte leise, als wollte er Willow auffordern, bei dem kleinen Spiel mitzumachen.
»Du alter Schwindler«, sagte sie sanft, Ishmaels weiche Nase streichelnd. »Du hast die ganze Zeit gewußt, wer da kam.«
Der Hengst stupste sie spielerisch gegen die Brust. Willow zuckte zusammen. Sie hatte immer noch leichte Schmerzen von Deuces hartem Kopf.
Sie warf einen prüfenden Blick auf Calebs Pferde, hielt sich jedoch von ihnen fern. Sie wollte nicht wieder eine grobe Bemerkung von Caleb riskieren, wenn sie seine Wallache mit ihren flatternden Röcken in Panik versetzte. Nach einem letzten Streicheln über Ishmaels samtige Nüstern begann Willow, trockene Zweige für das Feuer zu sammeln, von dem sie hoffte, daß Caleb es erlauben
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