Brandung des Herzens
aus dem Sattel und ging eine Strecke zu Fuß, um die Stute zu schonen und ihren eigenen Blutkreislauf in Gang zu bringen, saß dann wieder auf und fügte sich erneut in die nicht enden wollende Tortur.
Erschöpfung kämpfte mit Schmerz um die Oberherrschaft in Willows Körper, während sich die Stunden endlos lange dahinzogen. Willow hatte das Gefühl, ihr Unbehagen könne sich wohl kaum noch steigern, als ein kalter Wind aufkam und sie erzittern ließ. Die eisigen Böen heulten von den Berghängen herunter, die Willow bisher nur einmal - in Denver - gesehen hatte, ihre Gipfel von Stürmen umtost, ihre steilen Flanken und messerscharfen Grate wie uneinnehmbare Festungen gegen den Himmel. Aber selbst jene steilen Wälle waren jetzt nicht zu erkennen, da Dunkelheit und dichte Regenschleier so gut wie jede Sicht nahmen.
Fröstelnd beugte Willow sich tiefer über den Sattelknauf, hielt sich mit beiden Händen daran fest und senkte den Kopf gegen den eisigen Wind. Sie war so benommen von Kälte und Müdigkeit, daß sie gar nicht merkte, wie der kleine Trupp zum Stehen kam, bis sie sich vom Rücken der Stute hinuntergehoben fühlte. Ihre nassen, schweren Röcke wischten über Calebs Gesicht.
»Caleb?« fragte sie heiser. »Ist es schon Morgen?«
»Noch lange nicht, aber ich habe allmählich genug von dieser gottverdammten Dummheit«, erwiderte er barsch.
Willow antwortete nichts, denn seine Worte ergaben für sie keinen Sinn.
Die Schlucht, die Caleb für die Rast ausgesucht hatte, war tief genug, um den Wind abzuhalten. Ein Teil der steilen Böschung wies einen Überhang auf, der Schutz vor dem gewaltigen Unwetter bot. Ein riesiger umgestürzter Pyramidenpappelstamm reflektierte die Hitze des Feuers, das unter dem Überhang knisterte und züngelte und Dampfschwaden von der feuchten Erde aufsteigen ließ. Wie hypnotisiert starrte Willow auf die unerwartete Wärme und Schönheit der Flammen.
»Heben Sie die Arme über den Kopf«, befahl Caleb knapp.
Willow tat es und fühlte, wie ihr Körper vom Gewicht des durchnäßten Ponchos befreit wurde. Es verwirrte sie, weil sie sich im ersten Moment gar nicht daran erinnern konnte, den Poncho überhaupt übergestreift zu haben. Sie vergaß jedoch ihre Verwirrung, als sie begriff, daß Caleb dabei war, das Oberteil ihres nassen Reitkostüms aufzuknöpfen. Automatisch versuchte sie, seine Hände wegzuschieben. Es war sinnlos. Ebensogut hätte sie versuchen können, unsichtbare Berge aus dem Weg zu schieben.
»W-was f-fällt Ihnen ein!« stieß sie empört zwischen klappernden Zähnen hervor.
»Ich versuche lediglich, Sie vor einer Lungenentzündung zu bewahren«, erwiderte er grimmig, während er ihr das Reitkostüm herunterzerrte, ohne sich um Spitzen oder Knöpfe zu kümmern. »Mein Poncho kann Sie in einem solchen Unwetter nicht warm halten, nicht, wenn Sie von vornherein in nassen Kleidern aufbrechen, die zu dick und zu schwer sind, um allein durch Ihre Körperwärme zu trocknen. Was für ein kleines, zartes Ding Sie doch sind.«
Willow betrachtete die vom Feuerschein erhellten Züge des Mannes, der sie so unbeteiligt aus ihren Kleidern schälte, wie er Rinde von einem Stück Holz geschält hätte. Sein Gesicht war naß vom Regen, mit dunklen Bartstoppeln bedeckt und zu einer finsteren Miene verzogen. Sein wollenes Hemd und die Lederweste waren schwarz vor Nässe.
»S-sie m-müssen doch auch frieren«, sagte sie fröstelnd.
Calebs einzige Antwort war ein angewidertes Knurren. Er zog sein Messer aus dem Gürtel und machte sich daran, das zu tun, was er vom ersten Moment an hatte tun wollen, seit er Willow in diesen unpraktischen, schwerfälligen Kleidern erblickt hatte. Scharfer Stahl glitt durch widerspenstiges Tuch, während er Falten nasser Wolle und nutzloser Unterröcke über Willows langen Beinen abschnitt. Als die Spitze seines Messers auf Metall traf, hielt Caleb lange genug inne, um den Inhalt der speziellen mit Leder gefütterten Tasche in Willows Rock zu untersuchen.
Die doppelläufige Derringer wirkte winzig in seiner Hand. Er öffnete das Magazin der Pistole, sah, daß sie voll geladen war, und legte sie in Willows Reichweite auf dem Stamm der Pyramidenpappel ab. Dann fuhr er fort, mit seiner langen, scharfen Messerklinge zu hantieren, und zwar mit einer lässigen Geschicklichkeit, die unter anderen Umständen faszinierend gewesen wäre. Doch weder Caleb noch Willow konnten im Augenblick Interesse dafür aufbringen - Willow war zu sehr damit beschäftigt,
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