Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
Vom Netzwerk:
Ich
sollte es jemandem sagen. Das war es; ich mußte jemandem
Mitteilung machen. Aber niemand war da, dem ich es hätte sagen
können. Ich sehnte mich nach meinem Vater. Aber er war nicht da.
Er war niemals dagewesen. Er hatte seinen Preis bezahlt, seinen Saft
verspritzt und mich den Wölfen vorgeworfen. Aber wenigstens
gehörte er nicht zu ihnen. Er gehörte nicht zu ihnen.
    Niemand war da, dem ich es hätte sagen können. »Was
hast du mit ihr angestellt?« fragte Arabel. »Hast du ihm
etwas gegeben? Samurai? Float? Alkohol?«
    »Ich habe ihm nichts…«
    »Du befindest dich in Restriktion.«
    »Es sind nicht die Viecher«, sagte ich. »Sie nennen
sie Baby Dear und Tochter Ann. Und sie sind die Väter. Sie sind
die Väter. Aber die Tessel besitzen keine Krallen. Sie haben
keine Zähne. Sie wissen nicht einmal, was Ficken
bedeutet.«
    »Ihm liegt nur ihr Wohl am Herzen«, sagte Arabel.
    »Worüber sprichst du? Er hat ihr die Haare
abgeschnitten. Du hättest sie sehen sollen, wie sie sich an das
Wandpaneel klammerte, als hinge ihr Leben davon ab! Sie hat
gekämpft und gekämpft, aber es hat ihr nichts genützt.
Sie hat keine Krallen. Sie hat keine Zähne. Sie ist erst
fünfzehn. Wir müssen uns beeilen.«
    »Es wird alles bald vorbei sein«, sagte Arabel.
»Ich kann dich vermitteln. Garantiert keine
Treuhandjungs.«
    Ich stand in der Skinner-Box der Dormentmutter und klopfte an ihre
Tür. Ich wußte nicht, wie ich dorthin gekommen war. Mein
Gesicht starrte mich aus den Spiegeln der Dormentmutter an. Es war
Arabels Gesicht; angespannt und verzweifelt. Es blinkte abwechselnd
rot und weiß und wieder rot, wie ein Alarmarmband; es war das
Gesicht meiner Stubenkameradin. Sie wollte mir nicht glauben. Sie
wollte mich in die Restriktion nehmen. Es spielte keine Rolle. Als
sie die Tür aufmachte, konnte ich nicht weglaufen. Ich
mußte es jemandem sagen, bevor der ganze Laden in Flammen
aufging.
    »O, meine Liebe«, sagte sie und umarmte mich.
     
    Ich wußte, daß Zibet im Dunkeln auf meiner Koje sitzen
würde, noch bevor ich die Tür öffnete. Ich
drückte auf das Wandpaneel und ließ meine bandagierte Hand
darauf liegen, als müßte ich mich abstützen.
»Zibet«, sagte ich. »Alles wird in Ordnung kommen. Die
Dormentmutter wird die Tessel einsammeln. Man wird Tiere auf dem
Campus untersagen. Alles wird gut werden.«
    Sie blickte zu mir auf. »Ich habe es mit ihr nach Hause
geschickt«, erwiderte sie.
    »Was?« fragte ich verblüfft.
    »Er wird… uns nicht allein lassen. Er… Ich habe
Tochter Ann mit ihr nach Hause geschickt.«
    Nein. O, nein.
    »Henra ist gut; wie du. Sie wird sich nicht selbst retten.
Sie wird die zwei Jahre niemals aushalten.« Sie sah mich fest
an. »Ich habe noch zwei Schwestern. Die jüngste ist erst
zehn.«
    »Du hast das Tessel nach Hause geschickt?« fragte ich.
»Zu deinem Vater?«
    »Ja.«
    »Aber es kann sich nicht verteidigen«, sagte ich.
»Es hat keine Krallen. Es kann sich nicht
beschützen.«
    »Ich habe dir ja gesagt, daß du nichts über
Sünde weißt«, sagte sie und wandte sich ab.
    Ich habe die Dormentmutter niemals gefragt, was sie mit den
Tessels angefangen haben, die sie den Jungs fortnahmen. Ich hoffe, zu
ihrem Wohl, daß sie jemand aus ihrem Elend befreit.

 
Ein Brief von den Clearys
     
     
    Einführung
     
    Von allen Vergnüglichkeiten, die das Lesen bietet, ist die
Überraschung das größte. Der schreckliche Augenblick,
in dem man erkennt, wer Gatsby wirklich getötet hat: der beinahe
komische Augenblick in Mord im Orientexpreß, in dem man –
nachdem man sich eingeredet hat: »Sie können es
schließlich nicht alle getan haben!« – denkt,
Großer Gott! – und sich dann zurücklehnt und
versucht, zu rekonstruieren, wie man gefoppt wurde; die Momente
stillen Vergnügens, wenn die Heldinnen von Jane Austen bis Mary
Stewart letzten Endes ihre wirklichen Lieben entdecken; und all die
unerwarteten Momente, wenn man plötzlich entdeckt, wer der
Schurke ist, oder was die geheimnisvolle Frau einem anzudeuten
versucht hat.
    Ich konnte es nicht abwarten, Schriftstellerin zu werden und
die Tricks zu erlernen; irrezuführen und Informationen
zurückzuhalten und eine Sache wie eine andere erscheinen zu
lassen und die Schlüssel zu verstecken und falsche, ins Auge
springende Hinweise fallenzulassen und die Leine Stück für
Stück heranzuziehen, bis der Leser am Haken zappelt… und
dann an Land mit ihm!
    Und ich erlernte all diese Kniffe – mit dem unvermeidbaren
Ergebnis, daß

Weitere Kostenlose Bücher