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Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Ballen und ohne Krallen. Es hatte nicht
einmal Zähne, nur ein weiches, kleines Rosenknospenmaul, das nur
ein Viertel so groß wie die Öffnung am anderen Ende war.
Ob es mittels Pheromone verbessert war, hätte ich nicht zu sagen
gewußt. Mag sein, daß seine anziehende Wirkung nur darin
bestand, daß es keine Verteidigungsmöglichkeiten
besaß; daß es nicht zu kämpfen fähig war,
selbst, wenn es wollte.
    Ich legte es mir über die Oberschenkel und steckte einen
forschenden Finger in seine Vagina. Ich hatte ausreichende lesbische
Erfahrungen gemacht, um zu wissen, wie sich eine gute Fotze
anfühlen mußte. Ich stieß den Finger tiefer
hinein.
    Es schrie.
    Ich riß den Finger heraus, ballte die Hand zur Faust und
schlug mir hart vor den Mund, um nicht selbst aufzuschreien. Ein
furchtbarer, peinvoller Laut entrang sich mir. Hilflos. Ohne
Hoffnung. Ein Laut, wie ihn eine Frau ausstoßen muß, die
vergewaltigt wird. Nein. Schlimmer. Der Schrei, den ein
vergewaltigtes Kind von sich geben muß. Ich glaubte, nie zuvor
in meinem Leben ein solches Geräusch gehört zu haben; und
zugleich war es ein Schrei, den ich das ganze Semester über
gehört hatte. Pheromone. O, nein; eine weit größere
Anziehungskraft als eine durch Chemikalien hervorgerufene. Oder ist
Furcht ebenfalls chemisch?
    Ich legte das arme kleine Vieh aufs Bett, ging ins Bad und wusch
mir ungefähr eine Stunde lang die Hände. Ich hatte gedacht,
Zibet hätte nicht gewußt, wofür die Tessel gut waren;
daß sie nicht die geringste Ahnung gehabt hätte, was die
Jungs mit ihnen anstellten. Aber sie hatte es gewußt. Sie hatte
es gewußt und versucht, dieses Wissen vor mir zu verbergen. Sie
hatte es gewußt und war persönlich in den Schlaftrakt der
Jungen gegangen, um eines der Viecher zu stehlen. Wir hätten sie
alle, alle stehlen sollen; hätten sie diesen gottfickenden
Scheißern wegnehmen sollen… Ich hatte mir im Laufe der
Jahre eine Menge Namen für meinen Vater ausgedacht. Keiner davon
war übel genug für diese Geschichte. Scheißende
Jesus-Ficker. Fickende Scheißhaufen.
    Zibet stand in der Badezimmertür.
    »O, Zibet«, sagte ich und unterbrach meine
Handwäsche.
    »Meine Schwester fliegt heute nachmittag nach Hause«,
sagte sie.
    »Nein«, erwiderte ich. »O, nein«, und lief an
ihr vorbei aus dem Zimmer.
     
    Ich vermute, ich hatte eine Art kleinen Zusammenbruch. Jedenfalls
kann ich für die folgende Zeit nur unzulänglich
Rechenschaft ablegen. Das ist Wahnsinn, denn die einzige Sache, an
die ich mich sehr lebhaft erinnern kann, ist das Gefühl,
daß ich mich beeilen mußte; daß etwas Furchtbares
geschehen würde, wenn ich mich nicht beeilte.
    Ich weiß, daß ich die Restriktion gebrochen haben
muß, denn ich erinnere mich, unter den Kapokbäumen
gesessen und gedacht zu haben, was für einen wunderlichen Sinn
für Humor Old Man Moulton gehabt haben mußte. Er hatte
Christbaumkerzen an die schutzlosen Kapokbäume gesteckt, und die
Baumwolle und die knochentrockenen gelben Zweige wurden in die
Flammen geweht und fingen sofort Feuer. Der Brandgeruch war
überall gewesen. Ich erinnere mich, klar gedacht zu haben, Rauch
und Feuer, wie passend für Weihnachten in der Hölle.
    Aber wenn ich versuchte, über die Tessel nachzudenken, und
daran, was in bezug auf sie getan werden mußte, wurden meine
Gedanken völlig abwegig und verworren; als hätte ich zuviel
Float genommen. Manchmal war es Zibet, die Brown zurückhaben
wollte, und nicht Tochter Ann, und ich sagte: »Du schneidest ihr
nur die Haare ab. Ich werde sie dir nie zurückgeben.
Niemals.« Und sie kämpfte und kämpfte gegen ihn an.
Aber sie besaß keine Krallen, keine Zähne. Und manchmal
war es der Verwalter, und er sagte: »Wenn es die Angelegenheit
mit der Treuhandschaft ist, über die Sie sich Gedanken machen;
das kann ich für Sie herausfinden.« Und ich sagte:
»Sie wollen nur Tessel für sich selbst haben.«
Manchmal sagte der Vater Zibets: »Ich versuche nur, dich zu
schützen. Komm’ zu Papa.« Und ich stieg auf die Koje,
um das Intercom abzuschrauben, aber ich schaffte es nicht, ihn zum
Schweigen zu bringen. »Ich brauche keinen Schutz«, sagte
ich zu ihm. Und Zibet kämpfte und kämpfte.
    Eine herabhängende Baumwollflocke war in die Flamme einer
Kerze geweht. Sie fing Feuer und fiel brennend unter die braunen,
abgebrochenen Zweige. Der Rauchgeruch war überall. Jemand sollte
das melden. Hell konnte abbrennen – oder hieß das
aufbrennen –, denn niemand war über Weihnachten hier.

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