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Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Brief
nicht zu lesen bekommen. Außerdem – wenn ich heute nicht
in den Gemischtwarenladen ginge, würden sie mich morgen noch mal
schicken müssen; und ich brauchte nicht mit an dem blöden
Gewächshaus zu arbeiten.
    Manchmal möchte ich es am liebsten in die Luft sprengen.
Alles ist voller Sägemehl und Schlamm, und als wir einmal
Plastikfolie zuschnitten, hat David ein Stück davon auf den Ofen
gelegt, und es schmolz; und es stank zum Gotterbarmen. Aber keiner
außer mir hat die Schweinerei auch nur bemerkt, sosehr waren
sie alle damit beschäftigt zu schwärmen, wie wundervoll es
sein würde, wenn sie im nächsten Sommer erst zu Hause
Wassermelonen und Mais und Tomaten züchten könnten.
    Ich glaube nicht, daß es anders als im letzten Sommer sein
wird. Das einzige Zeug, das überhaupt aus dem Boden gekommen
ist, waren Lattich und Kartoffeln. Der Lattich war ungefähr so
dünn wie mein abgebrochener Fingernagel gewesen, und die
Kartoffeln waren steinhart. Mrs. Talbot sagte, es läge an der
Höhe; Dad dagegen war davon überzeugt, daß es eine
Folge des launischen Wetters und dieses lausigen Granits auf Pikes
Peak war, der in dieser Gegend den Untergrund darstellt, und ging in
die kleine Bibliothek im hinteren Teil des Gemischtwarenladens hinauf
und holte sich ein Do-it-yourself-Buch über
Gewächshäuser und fing an, das Oberste zuunterst zu kehren;
und schließlich begeisterte sich auch Mrs. Talbot für die
Idee.
    Am Tag darauf hatte ich zu ihm gesagt: »Paranoia ist die
häufigste Todesursache in dieser Höhe«, aber
sie waren viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, Latten und
Plastikfolien zu schneiden, um mir zuzuhören.
    Stitch ging vor mir her und zog an der Leine, und sobald wir
über den Highway waren, nahm ich sie ihm ab. Er läuft nie
fort, wie es Rustys Angewohnheit gewesen war. Aber man kann ihn nicht
dazu bringen, daß er am Straßenrand bleibt, und als ich
anfangs versucht hatte, ihn an der Leine zu halten, hatte er mich
einfach mit zur Mitte der Straße gezerrt, und Dad hatte sich
über die Fußspuren aufgeregt, die ich hinterlassen hatte.
Also halte ich mich an die gefrorenen Straßenränder, und
er strolcht allein umher; bleibt stehen, um Schlaglöcher zu
beschnüffeln; und wenn er zurückbleibt, pfeife ich, und er
kommt sofort angeprescht.
    Ich schritt ganz schön rasch aus. Es war kalt, und ich hatte
nur meinen Sweater an. Oben auf dem Hügel hielt ich inne und
pfiff Stitch. Vor uns lag noch eine Meile. Ich konnte den Peak von
hier oben aus sehen. Vielleicht hat Dad recht, wenn er sagt, es
würde Frühling. Auf dem Peak lag kaum Schnee, und das
verbrannte Areal sah nicht mehr ganz so geschwärzt wie im
letzten Herbst aus; möglicherweise bedeutet das, daß die
Bäume wieder wachsen.
    Im letzten Jahr war der Peak um diese Jahreszeit noch ganz
weiß gewesen. Ich erinnere mich daran, weil Dad und David und
Mr. Talbot auf die Jagd gegangen waren, und es jeden Tag geschneit
hatte, und sie fast einen Monat lang wegblieben. Als sie endlich
zurückkamen, hatte Mom kurz davorgestanden durchzudrehen. Immer
wieder war sie die Straße hochgegangen, um nach ihnen Ausschau
zu halten, obwohl der Schnee fünf Fuß hoch lag und sie
Fußspuren wie der Furchtbare Schneemensch hinterlassen
hatte.
    Sie hatte Rusty mitgenommen, der den Schnee ebenso haßte,
wie Stitch die Dunkelheit haßt. Und sie hatte ein Gewehr bei
sich gehabt. Einmal ist sie über einen Ast gestolpert und in den
Schnee gefallen. Sie verstauchte sich den Knöchel und war steif
gefroren, als sie sich schließlich nach Hause
zurückgeschleppt hatte.
    Ich hatte das Bedürfnis gehabt, zu sagen: »Paranoia ist
die häufigste Todesursache bei Müttern«, aber Mrs.
Talbot war hereingeplatzt und hatte gesagt, das nächste Mal
würde ich mit ihr gehen müssen, und ich sähe ja, was
geschähe, wenn jeder dorthin ginge, wohin es ihm paßte;
und damit meinte sie meinen Gang zum Postamt. Ich hatte erwidert, ich
könne auf mich selbst aufpassen; und Mom herrschte mich an,
nicht so patzig zu Mrs. Talbot zu sein; und sie sagte, Mrs. Talbot
hätte recht; und das nächste Mal sollte ich mit ihr
gehen.
    Sie hatte keine Lust gehabt, zu warten, bis ihr Knöchel
wieder heil war. Sie bandagierte ihn und ging schon am nächsten
Tag wieder hinaus. Sie hatte den ganzen Weg über kein einziges
Wort gesagt und war nur schweigend durch den Schnee gestapft. Sie sah
nicht einmal auf, bis wir an die Straße gekommen waren.
    Der Schneefall hatte vorübergehend aufgehört, und

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