Brandwache
Plastik. Ich reichte ihm
den Brief. »Willst du ihn aufbewahren oder was?« fragte
ich.
»Ich meine, er hat seinen Zweck erfüllt«, erwiderte
er. Er knüllte ihn zusammen, warf ihn in den Herd und schlug die
Tür wieder zu. Er verbrannte sich nicht einmal dabei. »Komm
und hilf mir beim Gewächshaus, Lynn«, forderte er mich
auf.
Draußen war es stockdunkel und sehr kalt. Meine Turnschuhe
fingen an, steif zu werden. Dad hielt die Taschenlampe und zurrte die
Plastikbahn fest über die Holzleisten.
Ich heftete das Plastik in Abständen von je fünf
Zentimetern rund um den Holzrahmen fest, wobei ich bei ungefähr
jedem zweiten Mal meine Finger miterwischte. Als wir mit einem
Rahmengestell fertig waren, fragte ich Dad, ob ich hineingehen und
meine Schuhe holen durfte.
»Hast du Tomatensamen bekommen können?« fragte er,
als hätte er mich gar nicht gehört. »Oder warst du zu
sehr damit beschäftigt, nach dem Brief zu suchen?«
»Ich habe nicht danach gesucht«, sagte ich. »Ich
habe ihn einfach gefunden. Ich dachte, du wärst froh, den Brief
zu bekommen und zu wissen, wie es den Clearys ergangen ist.«
Dad war bereits dabei, den nächsten Rahmen zu bespannen, und
er zog die Plastikbahnen so stramm, daß sie kleine Falten
bekam. »Wir wußten es schon«, sagte er.
Er gab mir die Taschenlampe und nahm mir den Tacker aus der Hand.
»Willst du, daß ich darüber rede?« erkundigte er
sich. »Willst du, daß ich genau erzähle, was mit
ihnen geschehen ist? Also gut. Ich nehme an, daß sie nahe genug
bei Chicago waren, um verdampft zu werden, als die Bomben fielen.
Wenn es so war, haben sie Glück gehabt. Denn um Chicago gibt es
keine Berge wie hier bei uns. Daher sind sie entweder vom Feuersturm
erfaßt worden, oder sie starben an Flashburns oder an der
Strahlenkrankheit; oder Plünderer erschossen sie
später.«
»Oder ihre eigene Familie«, sagte ich.
»Oder ihre eigene Familie.« Er hielt den Tacker gegen
das Holz und drückte auf den Schlagbolzen. »Ich glaube, ich
kann mir vorstellen, was vorletzten Sommer geschehen ist«, sagte
er. Er rutschte mit dem Tacker ein Stück tiefer und schoß
eine weitere Klammer ins Holz. »Ich glaube nicht, daß die
Russen losgelegt haben; und die Vereinigten Staaten auch nicht. Ich
glaube, es war eine kleinere Terroristengruppe irgendwo;
möglicherweise eine einzelne Person. Ich glaube nicht, daß
sie gewußt haben, was geschehen würde, wenn sie die Bombe
abwarfen. Ich glaube, sie waren genauso verletzt und verärgert
und verängstigt über die Lage der Dinge wie alle anderen
auch, und sie klinkten einfach aus. Mit einer Bombe.« Er
schoß eine Klammer in den Rahmen dicht über dem Erdboden,
richtete sich auf und ging zur nächsten Seite über.
»Was hältst du von dieser Theorie, Lynn?«
»Ich habe dir gesagt«, sagte ich, »daß ich
den Brief gefunden habe, als ich nach Mrs. Talbots Magazin
schaute.«
Er wandte sich um und wies mit dem Tacker auf mich. »Aber aus
welchem Grund sie es auch getan haben mögen, sie haben die ganze
Welt über ihren Köpfen zum Einsturz gebracht. Ob es ihre
Absicht war, oder nicht; sie mußten mit den Folgen
leben.«
»Wenn sie es überlebt haben«, warf ich ein,
»wird sie jemand erschossen haben.«
»Ich kann dich nicht mehr zum Postamt gehen lassen«,
sagte er. »Es ist zu gefährlich.«
»Und was ist mit den Magazinen für Mrs.
Talbot?«
»Geh’ und sieh’ nach dem Feuer«, sagte er.
Ich ging ins Haus zurück.
David war auch zurück und stand wieder am Feuerplatz und
fixierte die Wand. Mom hatte den Spieltisch und die Klappstühle
vor dem Ofen aufgestellt. Mrs. Talbot war in der Küche damit
beschäftigt, Kartoffeln zu schälen; aber sie weinte; als
schnitte sie Zwiebeln.
Das Feuer war beinahe ausgegangen. Ich steckte zerknüllte
Magazinblätter in den Ofen, um es wieder anzufachen. Das Feuer
loderte hellauf, mit blauen und grünen Flammen. Ich legte ein
paar Kiefernzapfen und Zweige auf das brennende Papier. Einer der
Kiefernzapfen rollte auf die Seite und blieb auf der Asche liegen.
Ich griff nach ihm und stieß mir die Hand an der
Ofentür.
Genau die richtige Stelle. Großartig. Die alte Kruste
würde von der entstehenden Blase abplatzen, und das ganze konnte
von vorn anfangen. Und natürlich stand Mom direkt neben mir, den
Topf mit der vorbereiteten Kartoffelsuppe in der Hand. Sie stellte
den Topf auf dem Herd ab und griff nach meiner Hand, als wäre
sie das Beweisstück in einem Verbrechen oder etwas
ähnliches. Sie sagte
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