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Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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beinahe
vollständig. »Es ist noch immer kalt.«
    »Was?« erwiderte sie verwirrt.
    »Es ist noch kalt. Aber es wird schon noch
wärmer.«
    Sie hatte den Wunsch, ihn zu fragen, was er damit meinte; aber die
Erinnerung überschwemmte sie. Schweratmend schloß sie die
Tür hinter sich und tastete sich zum Bett.
     
    Alle Mitglieder der Familie waren von Alpträumen heimgesucht
worden. Drei von ihnen saßen mit erschöpften, abgespannten
Gesichtern und dunkelgeränderten Augen beim
Frühstück.
    Die im Saum mit Bleilitze beschwerten Küchenvorhänge
waren noch nicht eingetroffen, deshalb mußten sie im Wohnzimmer
frühstücken, dessen Jalousien man schließen konnte.
Mutter und Vater saßen auf der blauen Couch, die Knie gegen die
verschwenderisch gedeckte Kaffeetafel gestemmt. Daisy und ihr Bruder
saßen auf dem Boden.
    Mutter sagte, während sie auf die geschlossenen Jalousien
starrte: »Ich habe geträumt, ich wäre voller
Löcher… kleine Löcher… wie Schweizer Musselin mit
Pünktchenmuster.«
    »Aber, Evelyn«, mahnte Vater.
    Daisys Bruder sagte: »Ich habe geträumt, das Haus sei in
Flammen aufgegangen; und die Löschwagen kamen und löschten
das Feuer; aber dann gingen die Löschwagen in Flammen auf, und
auch die Feuerwehrleute und die Bäume und…«
    »Das reicht«, fuhr Vater dazwischen. »Eßt
euer Frühstück.« Dann wandte er sich an seine Frau und
fuhr mit sanfterer Stimme fort: »Die Neutrinos gehen die ganze
Zeit über durch alle von uns hindurch. Sie schlagen durch die
ganze Erde. Sie sind völlig unschädlich. Sie hinterlassen
überhaupt keine Löcher. Es bedeutet nichts, Evelyn.
Mach’ dir keine Sorgen über Neutrinos. Sie können dir
nichts anhaben.«
    »Daisy, du hast einmal ein Kleid aus Schweizer Musselin
gehabt, stimmt’s nicht?« fragte Mutter, die noch immer auf
die Jalousien blickte. »Es war gelb und hatte lauter kleine
Pünktchen, die wie Löcher aussahen.«
    »Wenn ihr bitte entschuldigen wollt«, bemerkte Daisys
Bruder und hielt ein Buch hoch, auf dessen Umschlag ein Photo der
Sonne war.
    Vater nickte zustimmend, und Daisys Bruder ging hinaus, die Nase
schon ins Buch vergraben.
    »Zieh’ deinen Hut an!« rief Mutter hinter ihm her,
und bei ›Hut‹ drohte ihre Stimme umzukippen. Sie sah hinter
ihm her, bis er den Raum verlassen hatte; dann wandte sie den Kopf
und blickte Daisy aus verschatteten Augen an. »Du hattest
bestimmt auch einen Alptraum; oder, Daisy?«
    Daisy schüttelte den Kopf und senkte den Blick auf ihren
Teller mit Haferflocken. Sie hatte vor dem Frühstück durch
die Jalousien geblickt und die verbotene Sonne angeschaut. Die
starren Plastikjalousien waren aufgezogen worden, und jetzt lag ein
kleines Dreieck aus Sonnenlicht auf Daisys Haferflocken. Sie und ihre
Mutter starrten darauf. Daisy schirmte das Licht mit der Hand ab.
    »Hattest du denn einen angenehmen Traum, Daisy, oder kannst
du dich nicht daran erinnern?« Es klang wie eine Anklage.
    »Ich kann mich erinnern«, erwiderte Daisy und sah auf
das Sonnenlicht auf ihrem Handrücken.
    Sie hatte von einem Bären geträumt. Von einem
riesengroßen goldfarbenen Bären mit schimmerndem Pelz.
Daisy hatte mit dem Bären Ball gespielt. Sie hatte einen kleinen
blau-grünen Ball in Händen gehalten. Der Bär hatte
lässig mit der mächtigen goldenen Pranke hingelangt und den
blauen Ball aus Daisys Händen geschlagen. Dieser weitausholende,
beinahe sanfte Schlag mit der mächtigen Pranke war das
Schönste gewesen, das Daisy je gesehen hatte. Sie lächelte
in der Erinnerung daran.
    »Erzähl’ mir deinen Traum, Daisy«, forderte
Mutter sie auf.
    »Also gut«, erwiderte Daisy unwillig. »Er handelte
von einem großen, gelben Bären und einem kleinen, blauen
Ball, den er fortschleuderte.« Sie schwang den Arm in Richtung
ihrer Mutter.
    Mutter wimmerte auf.
    »Er hat uns alle ins kommende Königreich geschmettert,
Mutter!« schrie sie und floh aus dem dunklen Wohnzimmer in die
helle Morgensonne hinaus.
    »Zieh’ deinen Hut an!« rief Mutter ihr nach; und
diesmal geriet ihr das Wort ›Hut‹ beinahe zu einem
Aufschrei.
    * * *
    Daisy stand lange gegen die Tür gelehnt und beobachtete ihn.
Er sprach mit Großmutter. Sie hatte ihr gelbes Bandmaß
mit den kohlschwarzen Zahlen beiseite gelegt und nickte und
lächelte zu dem, was er sagte. Nach sehr langer Zeit legte er
seine Hand auf ihre und tätschelte sie zutraulich.
    Großmutter stand bedächtig auf und trat an das Fenster,
dessen verschossene rote Vorhänge den Schnee nicht

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