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Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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ganz
verdeckten, aber sie blickte nicht auf die Vorhänge. Sie stand
dort und sah hinaus auf den Schnee, lächelte fein und
furchtlos.
    Daisy arbeitete sich durch die Menschenversammlung in der
Küche, die Stirn in nachdenkliche Falten gelegt, und setzte sich
schräg gegenüber Ron hin. Seine Hände lagen noch immer
flach auf dem mit rotem Linoleum belegten Tisch. Daisy legte ihre
Hände ebenfalls auf den Tisch; berührte beinahe die seinen.
Sie drehte die Handflächen nach oben; eine Geste der
Hilflosigkeit.
    »Es ist kein Traum, oder?« fragte sie Ron.
    Seine Finger berührten fast die ihren. »Warum glaubst
du, daß ich es wüßte? Ich gehöre nicht hierhin,
erinnerst du dich nicht? Ich arbeite in einem
Gemüsegeschäft; erinnerst du dich nicht?«
    »Du weißt alles«, erwiderte sie einfach.
    »Nicht alles.«
    Ein Muskelkrampf überfiel sie. Ihre Hände – noch
immer mit den Innenflächen nach oben – zitterten leicht,
dann, als sie versuchte, den Krampf zu unterdrücken,
umklammerten sie die Metallkante des roten Tisches.
    »Es wird immer wärmer, Daisy-Daisy«, sagte er.
    Sie schaffte es nicht bis in ihr Zimmer. Hilflos lehnte sie an der
Tür und beobachtete Großmutter, wie sie maß und
notierte und kleine Papierschnipsel um sich her verstreute. Und sie
erinnerte sich.
    Mutter hatte ihn nicht einmal gekannt. Sie hatte ihn im
Gemüsegeschäft gesehen. Mutter – die niemals ausging,
die Sonnenbrillen und langärmelige Hemden und einen Sonnenhut
trug – selbst im abgedunkelten blauen Wohnzimmer – Mutter
hatte ihn im Gemüseladen getroffen und mit sich nach Hause
gebracht. Sie hatte ihren Hut abgesetzt und die lächerlichen
Gärtnerhandschuhe ausgezogen und war in das
Gemüsegeschäft gegangen, um ihn zu finden. Es mußte
sie unglaublich viel Mut gekostet haben.
    »Er sagte, er hätte dich in der Schule gesehen und gern
selbst ansprechen wollen; aber er hatte Angst, ich hätte gesagt,
er wäre zu jung für dich; war es nicht so, Ron?«
Mutter hatte abgehackt und erregt gesprochen. Daisy war nicht sicher
gewesen, ob sie Ron oder Rob oder Rod gesagt hatte. »Also, habe
ich gesagt, warum kommst du nicht jetzt gleich mit mir und besuchst
sie? Es gibt nur die Gegenwart, habe ich gesagt. Hab’ ich nicht
recht. Ron?«
    Er war ihr gegenüber überhaupt nicht verlegen gewesen.
»Möchtest du eine Coke mit mir trinken gehen, Daisy? Ich
habe meinen Wagen dabei.«
    »Natürlich will sie das. Du möchtest es
doch; nicht wahr, Daisy?«
    Nein. Sie wünschte sich, daß die Sonne –
der große goldene Bär – lässig hinlangte und sie
alle fortschleuderte. Gleich jetzt.
    »Daisy«, sagte ihre Mutter und fuhr ihr geschäftig
mit den Fingern durchs Haar, »es bleibt nicht mehr viel Zeit.
Ich möchte, daß du noch…« Dunkelheit und
Blut. Du möchtest, daß ich so ängstlich wie du bin.
Nun, Mutter, ich bin es nicht. Es ist zu spät. Jetzt haben wir
es beinahe erreicht.
    Aber als sie mit ihm hinausging, sah sie sein am Bordstein
geparktes Auto mit Schiebedach und verspürte ein erstes
ängstliches Flattern im Magen. Das Verdeck des Wagens war offen.
Sie blickte in Rons gebräuntes lächelndes Gesicht und
dachte: Er hat keine Angst.
    »Wohin möchtest du, Daisy?« fragte er. Sein nackter
Arm lag über die Rückenlehne des Sitzes gebreitet. Er
hätte ihn ihr ganz leicht um die Schultern legen können.
Daisy saß gegen die Tür gedrückt; die Arme vor der
Brust verschränkt.
    »Ich würde gern eine Fahrt machen. Mit
heruntergelassenem Verdeck. Ich liebe die Sonne«, erwiderte sie,
um ihn einzuschüchtern; um denselben Ausdruck in seinem Gesicht
zu sehen, der auf dem ihrer Mutter erschien, wenn sie ihr Träume
erzählte, die sie nicht gehabt hatte.
    »Das gilt auch für mich«, sagte er. »Hört
sich so an, als würdest du auch nicht all den Unsinn über
die Sonne glauben, den man uns weismachen will. Eine Menge dummes
Gerede, sonst nichts. Du siehst ja selbst, daß ich keinen
Hautkrebs bekomme, oder?« Er legte seinen goldbraunen Arm
nachlässig um ihre Schulter, um es ihr zu beweisen. »Eine
Menge Leute machen sich selbst wegen nichts verrückt. Mein
Physiklehrer sagt, die Sonne könnte den jetzigen Betrag an
Neutrinos noch fünftausend Jahre lang ununterbrochen emittieren,
ohne zu kollabieren. Und all dieser Scheiß über die Aurora
Borealis. Jesus, man könnte glauben, diese Leute hätten
noch nie einen solaren Protonenausbruch erlebt. Das ist nichts, wovor
man sich fürchten müßte, Daisy-Daisy.«
    Sein Arm war in

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