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Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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durchaus
zuvorkommend; aber Reverend Hoyt tat Esau dennoch leid, weil er dazu
verdammt war, für immer zu dienen.
    Er versuchte es auf andere Art. »Liebst du Gott, Esau?«
fragte er noch einmal. Das Zeichen für »lieben« machte
er selbst.
    Esau nickte. Er machte das Zeichen für
»lieben«.
    »Und du weißt, daß Gott dich liebt?«
    Esau zögerte. Er blickte Reverend Hoyt ernst aus seinen
runden braunen Augen an und zwinkerte. Seine Augenlider waren heller
als sein übriges Gesicht; sie hatten die Farbe des Sandes. Er
ballte seine rechte Hand zur Faust und erhob sie wider Reverend Hoyt.
Den kurzen Daumen hatte er nicht in die Faust mit einbezogen; er lag
zunächst über den Fingern, dann schnellte er hoch, und
schließlich wurde er unter den Fingern versteckt; die ganze
Bewegungsfolge wirkte äußerst methodisch.
    »S, A, M…«, buchstabierte Natalie. »Oh, er
meint den guten Samariter, von dem unsere biblische Geschichte in der
letzten Woche handelte. Er hat das Zeichen vergessen, das wir
dafür ersonnen haben.« Sie wandte sich Esau zu und legte
ihre flache Hand auf die Innenseite der anderen Hand. »Guter
Esau. Guter Samariter.« Sie machte die S-Faust und klopfte sich
damit zweimal an die Taille. »Guter Samariter, erinnerst du
dich?«
    Esau sah ihr zu. Er hielt erneut die Faust hoch und drehte sie in
Reverend Hoyts Richtung. »S…«, wiederholte er.
»A, M, A, R…«, er buchstabierte es ganz durch.
    Natalie war fassungslos. Sie übermittelte Esau eine rasche
Folge von Zeichen »Erinnerst du dich nicht, Esau? Der gute
Samariter. Er erinnert sich an die Geschichte. Sie können sich
selbst davon überzeugen. Er hat nur das Zeichen dafür
vergessen; das ist alles.« Sie ergriff Esaus Hände und
versuchte mit Nachdruck, sie zu dem Zeichen für »gut«
zusammenzulegen. Esau widerstand.
    »Nein«, sagte Reverend Hoyt. »Ich glaube nicht,
daß er darüber sprechen möchte.«
    Natalie war den Tränen nahe. »Er kennt all seine
Bibelgeschichten. Und er kann lesen. Er hat fast das ganze Neue
Testament selbst gelesen.«
    »Ich weiß, Natalie«, erwiderte Reverend Hoyt
geduldig.
    »Also; werden Sie ihn taufen?«
    Er blickte auf den Orang, der vor ihm im Sessel kauerte. »Ich
werde über diese Angelegenheit ein wenig nachdenken
müssen.«
    Sie sah dickköpfig aus. »Weshalb? Er möchte nichts
weiter als getauft werden. Und die Ecomenical Church tauft Menschen
– stimmt’s? Am letzten Sonntag haben wir vierzehn
Täuflinge gehabt. Alles, was er möchte, ist, getauft zu
werden.«
    »Ich werde über diese Angelegenheit ein wenig nachdenken
müssen.«
    Sie sah aus, als wolle sie noch etwas sagen, schwieg aber.
    »Komm mit, Esau«, sagte sie zu dem Affen, indem sie ihm
die Zeichen signalisierte, ihr zu folgen.
    Er kletterte umständlich aus dem Sessel, wobei er sich
anstrengte, immer geradeaus zu blicken. Er versucht, Natalie zu
gefallen, dachte Reverend Hoyt. Ist das vielleicht auch der
Grund, aus dem er getauft werden möchte – um Natalie zu
gefallen?
     
    Reverend Hoyt blieb noch lange an seinem Schreibtisch sitzen. Dann
ging er den langen Flur von seinem Büro zum Kirchenraum hinab.
Vor dem Seiteneingang blieb er stehen und blickte in die weite,
sonnendurchtränkte Halle. Die Kirche stellte eine der ersten,
großen Kathedralen der Ökumene dar, die vor der
Großen Verzückung errichtet worden waren. Sie war fast
vier Stockwerke hoch, und im Gewölbe spannten sich
mächtige, frei zugängliche Balken aus Kiefern des
Colorado-Gebirges. Das berühmte Lazetti-Fenster bestand aus
buntem Glas in Eisenfassungen und reichte die ganzen vier Etagen
hoch.
    Die erste Etage – hinter der Kanzel und der Chorempore –
lag im Schatten; dunkelbraune und grüne Schattierungen, die von
ein paar schlanken Palmen herrührten. Darüber fand der
Sonnenuntergang statt. Leuchtendes Orange, sattes Rot und tiefes
Violett verblaßten weit über den Köpfen der Gemeinde
zu den zarten Farbtönen des Pfirsichs, der Sahne und des
Lavendels. Etwa in Höhe der dritten Etage gingen die Fenster
unmerklich von den Pastelltönen in ungefärbtes Fensterglas
über. An den Abenden zogen die Wolken auf dem Fenster vor die
Sonnenuntergänge Denvers über dem Smog. Wirkliche Sterne
gingen hinter dem einzelnen facettierten Stern im Spitzbogen des
Lazetti-Fensters auf.
    Esau war zwischen den Balken. Er schwang sich Arm über Arm
voran und schleppte in einem Fuß ein weißes Staubtuch mit
sich. Seine langen, haarigen Arme taten keinen Fehlgriff,
während er sich

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