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Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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geredet haben, dachte Sally. Ich bin mit
einem Haufen Fremder unterwegs gewesen.
    Sie zog Jacke und Mütze wieder an und fuhr mit dem Aufzug
hinab, um ihren Vater zu suchen. Der arme Mann. Er hatte erfahren,
was es bedeutete, mit einer Frau verheiratet zu sein, die nicht
Englisch sprechen konnte. Sie konnte sich vorstellen, wie seine
Konversation mit Mutter ausgesehen hatte. Nur über Schwestern
und sexistische Schweine. Mutter hatte schon seit einiger Ewigkeit
kein Cambridge-Englisch mehr gesprochen. Bei ihrem letzten Anruf
hatte sie im östlichen Dialekt geredet, und davor im
kalifornischen. Kein Wunder, daß Vater eine Sekretärin
eingestellt hatte, deren Beiträge zur Kommunikation
ausschließlich in Seufzern bestanden, und daß sie, Sally,
im Hauptfach Englisch belegt hatte.
    Die morgige Pressekonferenz würde furchtbar werden. Sie
würde von lauter netten jungen Männern umringt sein, die
Big Business oder Computerenglisch oder Produktionsstudentisch
redeten; und sie würde kein einziges Wort von dem verstehen,
worüber sie sprächen.
    Plötzlich fiel ihr ein, daß der Linguist des
Unternehmens – dieser Ulric Irgendwer – Englisch sprechen
mochte; und sie tippte ihren vollständigen Sicherheits-Code ein
und fuhr mit dem Aufzug wieder nach oben, um den Ausdruck mit seiner
Adresse zu holen. Sie beschloß, durch den Orientalischen Garten
in die Forschung zu gehen, statt den Wagen zu nehmen. Sie redete sich
ein, daß es schneller gehen würde, was auch stimmte; aber
in Wahrheit dachte sie, daß sie auf diesem Weg an dem
Appartementgebäude vorbeikäme, in dem Ulric Henry
wohnte.
    Der Orientalische Garten war ursprünglich als Abkürzung
durch das Labyrinth aus Schnellgaststätten angelegt worden, die
sich rings um Mowen Chemical angesiedelt und es fast unmöglich
gemacht hatten, rasch an einen anderen Ort zu gelangen; egal, wohin
man wollte. Sallys Vater hatte Mowen Chemical absichtlich in den
Außenbezirken von Chugwater angesiedelt, damit die
Ortsansässigen nicht durch die Werkanlage gestört wurden,
und er hatte sich Mühe gegeben, die ursprünglichen
Gebäude und Wohnhäuser in die Landschaft von Wyoming
einzubetten.
    Die Ortsansässigen hatten jedoch prompt ihrerseits Mowen
Chemical gestört, und zu dem Zeitpunkt, als die Firma den
Forschungskomplex und das Computer-Center eingerichtet hatte, war das
einzige noch nicht mit Kentucky Fried Chickens und Arby’s
verseuchte Areal im älteren Teil der Stadt aufzufinden gewesen,
der sich in einiger Entfernung von der ursprünglichen Bauanlage
befand. Mr. Mowen hatte seine Absicht aufgegeben, die Einheimischen
nicht zu belästigen. Er hatte den Orientalischen Garten anlegen
lassen, so daß die Betriebsangehörigen wenigstens von
ihren Unterkünften zu den Arbeitsplätzen und zurück
gehen konnten, ohne von Chugwaterianern umgerannt zu werden.
Eigentlich hatte er nichts weiter vorgehabt, als einen Plattenweg
anzulegen, der sich zwischen den ursprünglichen
Betriebsgebäuden erstrecken und sie mit den neueren verbinden
sollte; aber damals hatte Charlotte Zen gesprochen. Sie hatte auf
Bonsais und einer geschwungenen Brücke über dem
Bewässerungsgraben bestanden. Ehe die Landschaftsgestaltung
fertig geworden war, hatte sie einen antitechnischen Dialekt
angestellt, der ihrer Ehe ein Ende bereitet und Sally in eine Schule
im Osten vertrieben hatte. In jener Periode war es auch gewesen,
daß ihre Mutter eine Kampagne zur Rettung der abgestorbenen
Pappel ins Leben gerufen hatte, unter der Sally im Augenblick
angelangt war; sie hatte die gesamte Umgebung von Vaters Büro
mit Schildern verziert, auf denen BAUMMÖRDER! gestanden
hatte.
    Sally blieb unter der abgestorbenen Pappel stehen und zählte
die Fenster ab, um dasjenige von ihnen ausfindig zu machen, das zu
Ulric Henrys Appartement gehörte. Im sechsten Stock gab es drei
Fenster, die alle erleuchtet waren, und das mittlere stand aus irgend
einem Grund offen; aber es würde eines schier unglaublichen
Zufalles bedürfen, um Ulric Henry just in diesem Augenblick ans
Fenster treten zu lassen, in dem sie hier stand, damit sie zu ihm
emporrufen könnte: »Sprechen Sie Englisch?«
    Ich habe ohnehin nicht nach ihm Ausschau gehalten, wies sie
sich selbst zurecht. Ich bin nur unterwegs zu meinem Vater; und
ich bin lediglich stehengeblieben, um den Mond zu betrachten.
Sieh’ an; ist der merkwürdig blau heute abend!
    Sie blieb noch eine ganze Weile unter dem Baum stehen, unter dem
Vorwand, den Mond zu betrachten; aber es

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