Brandzeichen
Das Mädchen ohne Geld legte ihre Hand mit der Handfläche nach unten flach auf den Tisch, als ob sie etwas darunter verbergen wollte.
»Kennt jemand von Ihnen Star Duncan?«, frage Diane und tat so, als ob sie nichts von dieser Transaktion bemerkt hätte.
»Star wer?«
»Star Duncan.«
Sie schauten sich an und schüttelten den Kopf.
»Nein.«
Danach signalisierten sie ihr durch ihre Blicke, dass sie jetzt vielleicht besser gehen sollte.
Diane spazierte dagegen seelenruhig zu den Verkaufsautomaten hinüber und schaute sich das Angebot an: Süßigkeiten, Erdnüsse, Kekse, Hartwürste, Trockenwürstchen und Popcorn. Die Glasfront des Automaten wirkte wie ein Spiegel, in dem sie erkennen konnte, dass die Mädchen sie aufmerksam beobachteten. Sie tat so, als ob sie sich nicht entscheiden könne, holte dann ihr Handy aus der Tasche, öffnete es und schaltete den Kameramodus ein.
»Ich bekomme hier drin keine Verbindung«, sagte sie dann, während sie das Handy in die Höhe hielt und in die unterschiedlichsten Richtungen drehte. Als es auf die beiden gerichtet war, machte sie ganz leise ein Bild.
»Hier funktioniert Ihr Handy nicht. Sie haben das Signal blockiert, als sie dieses Gebäude errichtet haben. Das war ganz schön gemein von denen.«
»Verdammt, wie unangenehm«, sagte Diane und steckte ihr Handy wieder in die Tasche zurück. Danach angelte sie etwas Kleingeld aus der Hosentasche, ließ für sich einen Schokoriegel und für Frank einen Beutel Erdnüsse heraus und verließ den Raum. Beim Hinausgehen bemerkte sie, dass auf einem der Hefte der Mädchen der Name Jessica Davenport stand.
Wenn sie tatsächlich mit Drogen, vielleicht sogar mit Methamphetamin handelten, könnte die Polizei vielleicht über sie an die Hintermänner des Meth-Labors gelangen. Das Ganze war natürlich nur eine Vermutung. Wahrscheinlich hatten sie einfach nur über typische Mädchenangelegenheiten gesprochen. Wenn die eine der anderen aber tatsächlich Drogen zugeschoben hatte, wäre das vielleicht eine erste Spur für die Polizei.
Garnett glaubte nicht, dass der »Meth-Koch«, der wahrscheinlich bei der Explosion getötet worden war, als Einziger mit diesem Labor zu tun hatte. Nicht zuletzt deshalb, wie Diane annahm, weil er nicht wollte, dass alle Schuldigen tot waren und nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Er hatte ihr erzählt, dass die Feuerwehrleute im Keller Spuren einer Entlüftungsanlage gefunden hatten, die verhinderte, dass die bei der Methproduktion entstehenden Gerüche durchs ganze Haus zogen. Außerdem gab es weitere Anzeichen, dass es sich um eine leistungsstarke Drogenküche mit einem ausgefeilten Verteilernetz gehandelt hatte.
Diane wollte, dass die Verantwortlichen gefasst wurden. Sie wollte, dass sie für lange Zeit hinter Gittern verschwanden.
Als sie den zweiten Stock erreichte, tat Diane alles weh. Ihr war beinahe schlecht vor Angst und wegen ihres leeren Magens. Immer wieder gingen ihr die Bilder von ihrer Suche nach Ariel damals im Dschungel durch den Kopf – wie sie die ermordeten Nonnen in der Missionsstation fand und Ariels Lieblingsmusik vom Kassettenrekorder hörte, den sie ihr geschenkt hatte und den man zusammen mit Ariels blutigem Schuh dagelassen hatte, damit Diane sie finden sollte.
Oh Gott, nicht jetzt daran denken!
Diane blieb stehen, atmete tief durch und schloss die Augen.
Nein, geht weg,
befahl sie ihrem Gehirn,
nicht jetzt diese Bilder.
Sie lehnte sich an die Wand und packte den Schokoriegel aus, den sie am Automaten gekauft hatte. Es war ein Milky Way. In ihrer warmen Jackentasche war er bereits weich geworden. Sie brauchte jetzt eine Zuckerzufuhr. Sie aß den ganzen Riegel, zerknüllte das Einwickelpapier und steckte es in die Tasche. Dann holte sie ein Kleenex heraus und wischte sich Hände und Mund sauber.
Am Ende des Ganges stand ein Trinkwasserbrunnen. Diane ging zu ihm hin und beugte sich darüber, um einen Schluck Wasser zu trinken. In der glänzenden Oberfläche des Wasserspenders glaubte sie plötzlich, Stars verzerrtes Bild zu erkennen.
[home]
10
D iane wirbelte herum – und direkt vor ihr stand Star mit ihrem leicht ausgebeulten Jeansoverall, ihrem dunklen Augen-Make-up und dem frechen Haarschnitt mit den abstehenden Spitzen.
»Star!«
Star war offensichtlich total überrascht, sie zu sehen. »Diane, was machst du denn hier?«
»Star«, war alles, was Diane sagen konnte, während sie ihr um den Hals fiel und sie an sich drückte. Sie roch nach
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