Brandzeichen
Leute hier haben für solche Scherze im Moment überhaupt kein Verständnis.«
»Amen«, sagte Archie.
Diane hatte jetzt genug von diesem Thema und versuchte, das Ganze deshalb herunterzuspielen. »Das war nur eine unbedeutende Kleinigkeit. Ich bin mir sicher, dass ihre Anwälte ihnen raten werden, sich offiziell zu entschuldigen, wenn sie die Beweise sehen.«
Nachdem sie Blake Stantons Eltern kennengelernt hatte, hatte er ihr auf seltsame Weise leidgetan; als sie nun aber die vor ihr liegenden verkohlten Knochen betrachtete, verflog dieses Mitgefühl sofort wieder.
Wenn er damit etwas zu tun hat, muss er dafür zahlen,
dachte sie.
Sie nahm ihre Untersuchungs- und Vermessungsarbeit wieder auf. Einige Handwurzelknochen hatte man an der gleichen Stelle gefunden, so dass man annehmen konnte, dass sie zum selben Handgelenk gehörten. Alle stammten von einer rechten Hand. Als sie die Knochen wie ein dreidimensionales Puzzle zusammensetzte, fand sie heraus, dass sie tatsächlich zueinander passten. Außerdem wiesen die Gelenkoberflächen die gleichen Abnutzungsmuster auf. Am Haken des Hakenbeins bemerkte sie einen verheilten Bruch.
»Nach der Größe der Knochen zu schließen, handelt es sich um einen Mann«, sagte sie zu Jin, als sie alle Informationen in ein Formblatt eintrug. »Es könnte natürlich auch eine grobknochige Frau sein. Ich glaube, er – oder sie – hat Baseball, Racketball oder Tennis gespielt.«
»Wie kommen Sie denn darauf?«, fragte Jin.
Sie zeigte ihm die verheilte Bruchstelle. »Diese Art von Bruch kommt relativ häufig bei Sportlern vor, die einen Schläger schwingen.«
»Wirklich?«, wunderte sich Jin. »Sie finden eine Handvoll Gelenkknochen und können dann sagen, dass sie zu einem männlichen Baseballspieler gehören? Cool.«
»So habe ich das nicht gesagt. Ich meinte nur, dass es sein
könnte
. Es ist ein Anhaltspunkt. Außerdem weiß ich nicht, welche Art von Schläger er benutzt hat. Es könnte auch eine Axt gewesen sein. Vielleicht war er ein professioneller Holzfäller …«
»Na, jedenfalls ist das schon beeindruckend, was Sie alles aus diesen Knochen herauslesen können.«
Archie kramte in einer der Kisten und brachte Diane dann einen großen Umschlag. Er hinkte ganz leicht; ihr fiel ein, dass im Jahr davor ein Polizist angeschossen worden war. Sie fragte sich, ob es sich dabei um Archie gehandelt haben könnte.
»Ich habe mich daran erinnert«, sagte er ihr, »weil Marjie, die Polizistin, die diesen Umschlag entgegengenommen hat, mir erzählte, dass er die Unterlagen über einen ihrer Nachbarn, den Sohn eines Rosewooder Polizisten, enthält, der Mitglied der Racketball-Mannschaft der Universität ist. Nach ihren Angaben ist auch eine Röntgenaufnahme seiner rechten Hand dabei.«
»Sie haben ein ausgesprochen gutes Gedächtnis. Vielen Dank, Archie«, sagte sie. »Das ist eine große Hilfe.«
»Man tut, was man kann.« Als er zu seinem Schreibtisch zurückgekehrt war, brachte ihm Marjie bereits die nächsten Schachteln, die Informationen über weitere vermisste Studenten enthielten.
Diane holte die Röntgenaufnahme aus dem Umschlag und legte sie auf einen Leuchtkasten. Da war sie, eine kleine Bruchlinie, die genau mit der verheilten Stelle in dem vor ihr liegenden Knochen übereinstimmte. Danach nahm sie jeden dieser Gelenkknochen in die Hand und verglich ihn mit dem Röntgenbild. Zwar gab es keine weiteren Brüche, aber die relativen Größen und die Abnutzungsmuster waren identisch. Sie war sich jetzt sicher, dass es sich um die Knochen von – sie schaute auf den Namen auf der Röntgenaufnahme – Daniel Wallace handelte. Jetzt musste sie nur noch den Rest von ihm finden.
Wallace? Sie schaute noch einmal auf den Namen. Danach nahm sie den Umschlag in die Hand und las dessen Aufschrift. Tatsächlich, es war, wie sie befürchtet hatte. Sein Vater war Izzy Wallace, ein Polizist, wie Archie es gesagt hatte – und ein Freund von Frank.
Verdammt.
Diane fürchtete sich davor, dies Frank mitzuteilen. Er war so überglücklich gewesen, dass sie Star unversehrt aufgefunden hatten. Und jetzt würde sein Freund diese schreckliche Nachricht erhalten. Sie selber mochte Izzy Wallace nicht besonders, und das beruhte sicher auf Gegenseitigkeit, aber so etwas wünschte sie niemandem. Sie schaute bekümmert auf die anderen Knochen auf den Tabletts und versuchte, sie einander zuzuordnen.
Anscheinend gehörten die meisten Knochen, die man in den benachbarten Suchquadraten gefunden
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