Brandzeichen
Sie mir bitte eine Kopie des Untersuchungsberichts auf meinen Schreibtisch.«
»Auf den Schreibtisch Ihres Laborbüros?«
Diane nickte. Sie bezweifelte, dass es da außer Blakes Blut etwas Wichtiges gab, aber vielleicht hatten sie doch noch irgendwelche Beweisspuren gefunden, die später beim Prozess hilfreich sein könnten. Sie ging in Jins Begleitung in ihr Labor. Er sammelte die Knochen ein, von denen er noch Proben nehmen musste, und trug sie zu seinem auf allen Seiten verglasten Laborarbeitsplatz hinüber, um sie dort zu bearbeiten.
Diane öffnete mehrere Schachteln und legte die darin befindlichen Knochenfragmente so auf den Tisch, wie man sie in den unterschiedlichen Suchquadraten gefunden hatte. Sie wollte sehen, ob einzelne Stücke zusammenpassten und vielleicht sogar ein und derselben Person zugeordnet werden konnten.
Die meisten waren Schädelfragmente, die wohl zu Körpern gehörten, die bereits von den Gerichtsmedizinern untersucht worden waren. Sie stellte ihre Sandkiste auf den Tisch und versuchte, darin einige Knochen wieder zusammenzufügen. Dabei fragte sie sich, ob einer von ihnen Izzy Wallace’ Sohn gehörte.
Am Ende des Tages hatte sie Teile dreier Schädel zusammengeklebt und einige Röhrenknochen zusammengefügt. Bei zwei Schädeln war noch so viel vom Oberkiefer vorhanden, dass sie mit den Zahnröntgenbildern verglichen werden konnten. Sie legte sie in eine Schachtel und trug sie einen Stock tiefer in den Ostflügel, um dort im Konservierungslabor des Museums Röntgenaufnahmen von ihnen zu machen.
Zurück in ihrem Labor, verglich sie diese mit den Zahnröntgenaufnahmen der möglichen Opfer. Als Erstes schaute sie sich die von Daniel Wallace an. Sie stimmten genau überein. Ihr brach fast das Herz. Obgleich sie aufgrund der Handwurzelknochen, die sie vor einigen Tagen untersucht hatte, ziemlich sicher gewesen war, dass Daniel zu den Opfern gehörte, hatte sie doch tief im Innern immer noch gehofft, dass er einfach weggelaufen sein könnte, ohne es seinen Eltern zu sagen. Es ist schrecklich, wenn Eltern hoffen müssen, dass ihr einziges Kind weggelaufen ist. Diane schrieb ihre Berichte und faxte sie dann an die Polizeiabteilung, die die Identifizierung der Opfer koordinierte.
Dann ging sie in ihr Büro und setzte sich an den Schreibtisch, auf dem Nevas Untersuchungsbericht ihres Wagens lag. Sie nahm ihn in die Hand und wollte ihn gerade durchgehen, als sie ihn wieder sinken ließ. Sie merkte, dass sie für heute von der Forensik genug hatte. Sie löschte das Licht und fuhr nach Hause.
Vor ihrem Apartmenthaus blieb sie erst einmal in ihrem Wagen sitzen und suchte mit den Augen die Umgebung nach Autos ab, die sie nicht kannte. Es waren keine zu sehen.
Sie stieg aus und ging die Stufen zum Hauseingang hinauf, die man wie die Zugangswege von Schnee und Eis befreit hatte, während überall sonst die Schneehöhe bestimmt noch 30 Zentimeter betrug. Sie mochte diese strahlend weißen Flächen. Sie war fast am Hauseingang angekommen, als plötzlich jemand heraustrat und sie an den Arm fasste. Sie wich einen Schritt zurück, bereit, sich zu verteidigen.
»Dr. Fallon. Ich bin es nur.«
Es war Shawn Keith, der Mieter der Untergeschosswohnung. Er trug einen flauschigen braunen Pullover und einen dicken Schal. Trotzdem zitterte er vor Kälte.
»Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich habe Sie heranfahren sehen. Ich wollte mich nur entschuldigen. Ich … Sehen Sie … Ich hatte meine Mutter dabei.«
Diane starrte ihn einen Moment verständnislos an. Worüber sprach er überhaupt? Dann begriff sie – der Autoraub, Blake Stanton.
»Sie meinen diesen Kerl, der Ihr Auto rauben wollte?«
Er nickte. »Ich sah noch, wie er auf Ihr Auto zuging, als ich davonfuhr.«
»Das geht schon in Ordnung, Professor Keith. Sie haben richtig gehandelt. Vor allem haben Sie die Polizei angerufen. Die kam und hat alles geregelt.«
»Ich mache mir Vorwürfe. Ich hätte …«
»Genau das tun sollen, was Sie getan haben«, ergänzte Diane. »Wirklich, Sie haben sich genau richtig verhalten.«
»Das ist wirklich freundlich von Ihnen, dass Sie das sagen.«
»Aber es stimmt. Ich glaube, Sie sollten besser wieder hineingehen. Sie sind schon ganz blau.«
»Es ist eiskalt hier draußen. Vielen Dank, Dr. Fallon.« Er nickte mehrmals mit dem Kopf. »Vielen, vielen Dank.«
Diane ging die Treppe zu ihrer Wohnung hinauf, schloss die Tür auf, erleichtert, endlich daheim zu sein. Gerade als sie eintrat,
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