Brann 01 - Seelentrinkerin
Langsam wurde er wacher, gähnte aber noch vor sich hin, während er herbeilatschte.
»Übernimm!« Sobald Staro der Stummel das Steuerrad im Griff hatte, entfernte sich Jimm. »Unsere Hexe hat was vor, und ich will's nicht versäumen.«
Als Brann mit Yaril und Jaril das Deck betrat, hatte sich die Neuigkeit schon unter der Mannschaft herumgesprochen. Selbst jene, die gegenwärtig schlafen durften, hatten sich unauffällig auf Deck verteilt, beschäftigten sich mit belangloseren Tätigkeiten. Erheitert hielt Sammang übers Schiff Ausschau. Die Weise, wie der Haarige Jimm »unsere Hexe« sagte — mit dem Gehabe eines frischgebackenen Vaters, der über seinen Sprößling redet —, fand er zum Lachen, bis er erkannte, daß er gleichartig empfand.
Brann kam zu Sammang und dem Haarigen Jimm. »Welcher ist der größte verbreitete Vogel, der so weit übers Meer hinausfliegt?«
»Der Albatros. Warum?«
Brann wandte sich an den Knaben. »Kennst du den?«
Jaril grinste sie an, und mit einem Mal war sein Grinsen fort, der ganze Bube war verschwunden, wo er gestanden hatte, gleißte es goldgelb, dann schwang sich mühevoll ein großer weißer Vogel mit schwarzen Flügelspitzen in die Luft, stieg auf übers Schiff, während er enge Kreise zog; einen Herzschlag später flog er auf die Inseln zu.
Yaril lehnt mit dem Rücken am Mast, die Lider geschlossen, die helle Kinderstimme dringt durch die Geräusche von Wind und Wasser, das Knarren der Masten und Balken.
»Erste Insel. Aus der Höhe nichts zu sehen, flieg tiefer, scheuch ein paar Vögel auf, keine Strände, keine Ankerplätze. Flieg zur nächsten Insel!«
Schweigen. Die Zuhörer lauschen ruhig, arbeiten still, sprechen kein Wort.
»Überflieg zweite Insel. Mehr Bäume. Kein Anzeichen von Binnenwasser erkennbar. Eindeutig völlig leer, so einsam, daß man eine Ratte sich kratzen hört.«
Schweigen. Sammang mustert Brann, fragt sich, was sie wohl denkt.
»Dritte Insel. Da ist eine lohnende Entdeckung zu machen. Ein Dutzend Praue liegt an einem Bach, der durch einen Streifen Sandstrand verläuft, hauptsächlich das Süßwasser dürfte die Djelaaner zu dieser Insel locken. Ich sehe rund einhundert Djelaaner, es ist eine Kriegsschar, sie sind mit Keulen, Speeren, Wurfhölzern, Langmessern und Streitäxten bewaffnet. Eine Horde feuert regelrecht einen Tätowierten an, der sich wie in einem Anfall umherwirft. Aha, der Anfall ist vorbei. Wie sie jetzt losrennen! Wollte jemand wetten, der tätowierte Bonze hätte ihnen nichts von diesem schönen großen Schiff erzählt, das vorübersegelt? Eile ist geboten, Leute, es kommt Unheil auf euch zu!«
Die Meermaid schwamm schnell west- und südwärts, so viel Segel gesetzt, wie die Takelage verkraftete, das Schiff ächzte und zitterte, beharrte gegen das Gewicht des Tangs und der Muscheln am Rumpf auf äußerster Geschwindigkeit. Trotz allem pflügte es vortrefflich durch die See. Bisweilen rissen Taue, dann und wann taumelte es, doch die Mannschaft behob alle Schäden, wenngleich manchmal nur notdürftig, ihr Wille und Geschick hielten das Schiff zusammen. Sammang war auf Deck nahezu allgegenwärtig, packte handfest zu, wo es nötig war, während seine Augen ständig nach Hinweisen auf einen Wetterwechsel forschten. Er hörte Gelächter, sah neben sich Brann, ihre grünen Augen funkelten aus schierer Wonne angesichts der wilden Aufregung ringsum. Ein, zwei Atemzüge lang betrachtete er sie, fühlte sich fast wieder wie der Junge, der sich in die weite Welt auf- und davongemacht und zuversichtlich wahre Wunder erwartet gehabt hatte. Dann widmete er sich erneut der Meermaid.
Zwischen zweimaligem Atemholen kam der Wind zum Erliegen. Die Meermaid erbebte, irrte vom Kurs ab, die Last am Rumpf brachte sie mit schlagartiger Plötzlichkeit zum Halten. Sammang fluchte, stand ratlos da, blickte umher. Die Seemänner wechselten Blicke, ließen sich nieder, wo sie gerade waren, um das Weitere im Sitzen abzuwarten, aber noch spleißten Hände Taue, ein Mann schnitzte einen neuen Holzblock zurecht, um einen geborstenen Block zu ersetzen.
Brann berührte Sammangs Arm. »Jaril sagt, die Praue sind um etwa eine Stunde hinter uns.«
»Wie viele?«
»Zwölf. Sie sind in zwei Schwärme geteilt, der Tätowierte — er muß der Wetterkundige sein, Jaril ist dieser Ansicht, und ich bin's auch — hält sich mit zwei Booten zu seiner Bedeckung im Hintergrund. Die übrigen neun Boote jagen in Magischem Wind auf uns zu, Jaril sagt, sie fliegen
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