Brann 02 - Blaue Magie
und Marienkäfern beim Einherschwirren zuzuschauen, Reihen von Ameisen beim eiligen Hin- und Herstreben zu beobachten, sich eine Kröte anzusehen, die wie ein alter Kuhfladen aussah und aus dem Schatten eines blühenden Wundersambuschs ins Helle blinzelte und ab und zu, wenn ihr danach war, die lange, weiße Zunge vorschnellen ließ, einen unachtsamen Käfer erhaschte, der zu nahe vorbeisummte, und ihn verschlang. Das Mädchen kroch durch die Sträucher, beschmierte sich völlig unbekümmert mit Dreck, schlenderte an den breiten Fenstern der Räumlichkeit vorüber, worin der Maretuse und sein Gast gerade ihr Spiel beendeten. Es blieb stehen und schaute hinein, sah das Maultier sich in den Raum schleichen und kicherte, weil in dem großen Haus ein Tier zum Tee aufkreuzte, als wäre es ein Mensch.
Der kleine Dicke winkte dem Mädchen zu, und es winkte gleichfalls; dann drehte es den Kopf und wandte sich über die Schulter an das Maultier. »Der Maretuse«, sagte er, »hat eingewilligt, dich zu füttern, Maultier.«
Das Maultier sperrte den Rachen auf. Es riß ihn auf und auf und noch weiter auf. Der Maretuse wollte sich erheben, aber war dazu außerstande.
Währenddessen verquoll der kleine Dicke, bis er sich in den Zwittergott Tungjii, gekleidet in das von ihm bevorzugte zerknitterte Schwarz, verwandelt hatte. Ohne den entsetzten Maretuse zu beachten, trat Tungjii an eines der breiten Fenster. Er/sie öffnete es und nahm die Tochter des Gärtners auf den Arm. »Drache«, sagte sie.
»Ja«, bestätigte Tungjii, »ein sehr hungriger Drache. Möchtest du mit mir kommen?«
»Hm-hm. Vati auch?«
»Diesmal nicht. Bist du traurig, kleine Tochter?«
Das Mädchen blickte ihm/ihr ernst in die Augen, dann schmiegte es sich an ihn/sie. »Öh-öh.« Tungjii begann in die Luft zu klettern, er/sie schnaufte und ächzte, beugte sich leicht vor, als erstiege er/sie eine steile Treppe. Zunächst ängstigte sich die Gärtnerstochter, aber Tungjiis Busen war weich und warm. Sie lehnte sich dagegen und fühlte sich bald sicher genug, um ihm/ihr über die Schulter zu lugen. Vom einen bis zum anderen Ende der Welt breitete sich Feuer aus.
»Drache?«
»Der Drache Sonnenfeuer. Er haust jetzt dort.«
»Och.«
Und seit jenem Tag war Ambijan eine Wüstenei, in der nur noch wenig wuchs. Die geringe Zahl von Ambijaks, die es noch gab, setzte sich aus Nomaden und Räubern zusammen, die einen Drachen namens Sonnenfeuer verehren.
»Drachen gibt's auch? Was für ne Welt.« Daniel erhob sich von dem eingerollten Tauwerk, auf dem er gesessen hatte, reckte sich, bewegte die Schultern, blickte auf die schwärzliche See hinaus, die vor dem Bug des Schiffs wogte. Godalau war noch da, schwamm unermüdlich voraus. »Gegrillte Bauern. Ein reichlich harter Denkzettel für Leute, deren einziges Vergehen daraus bestand, den Status quo zu gefährden, findest du nicht? Ich habe ein paar Herrscher gekannt, denen ein bißchen Opposition nicht geschadet hätte.«
Brann schwang eine Hüfte auf die Reling und hielt sich an einem greifbaren Zipfel eines Segels fest. »Es ist nur eine Geschichte. Wahrscheinlich hat sie sich nie ereignet. Aber sie könnte sich so zugetragen haben. Du darfst Tungjii nicht nach Äußerlichkeiten beurteilen. Er ist gefährlich. Immer. Derjenige, der mir die Geschichte erzählt hat, war ein Tänzer, mit dessen Truppe ich einmal durch die Lande getingelt bin, und Tungjii war der Patron seiner Familie. Erinnerst du dich an die Tochter jenes Gärtners? Sobald sie alt genug war, verheiratete Tungjii sie in Tagas Sippe und versprach, sie allzeit wohlwollend im Augenmerk zu behalten. Sie haben schnell gelernt, ihn nicht um Gunsterweise zu bitten. Er hat sie immer gewährt, doch manchmal stellten sie sich als so schlimm wie fünf plagenreiche Jahre heraus.« Ihr Blick maß Daniel Akamarino sehr aufmerksam und mit einer gewissen Ratlosigkeit. »Und das bringt mich auf die Frage, weshalb er dich wohl hergeholt hat? Er oder eine andere Gottheit.«
»Wieso kann's kein Zufall gewesen sein? Der betreffende Gott hat sich vielleicht gekrallt, was sich gerade kriegen ließ.«
»Du bist noch keinen Tigermenschen, Luftgeistern oder gar einigen der noch absonderlicheren Dämonen begegnet, wie Zauberer sie durch nichts Aufwendigeres als ein Hicksen oder ein Grunzen in diese Welt befördern können. Und das ist nichts, verglichen mit dem, was ein Gott, eine Göttin oder eine andere Gottheit zu leisten vermögen, sobald er oder sie als göttliches
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