Brann 02 - Blaue Magie
Verständigkeit zu eigen. Obwohl ihr Leben noch nicht lange währte und schwerwiegende Beschränkungen es beeinträchtigten, hatte sie bereits mehr als eine Handvoll einseitiger Geschichten darüber gehört, die Mangel oder Unsegen rechtfertigen sollten. Männer ließen die Äcker sauer werden, Frauen vernachlässigten das Weben oder die Reinlichkeit, Kinder fanden tausend Ausreden für das, was sie getan oder unterlassen hatten. Auch sie erzählte solche Geschichten, sogar sich selbst. Wie sollte sie also das, was Settsimaksimin erzählte, beurteilen können? Sollte sie es an den Verhältnissen messen, die vorher in der Ebene geherrscht hatten? Was jedoch wußte sie denn schon über die Ebene, sah man einmal von der einen oder anderen uralten Gruselmär ab, wie man sie daheim zu verbreiten pflegte, um aufmüpfige Knäblein bange zu machen? Sie faßte es als Zumutung auf, derlei Erzählungen Glauben schenken zu sollen. Sie wußte, was man in den Fingertälern von Fremden hielt, alles Fremde war dort nicht einmal ein Ausspucken wert. Was wußte sie sonst? Was wußte sie wirklich? Was er im Hinblick aufs Holz tat, die Baumbestände. Ja. Daniel Akamarino war davon ziemlich beeindruckt gewesen. Und wie sauber er die Stadt hielt. Sogar für Bettler gab es Badehäuser. Sklavenmärkte dagegen gab es nicht mehr. Allerdings boten sich in den Straßen noch immer Mädchen feil, in den Gasthöfen zählten sie zum Angebot, geradeso als wären sie Betten oder Flaschen. Die Freudenhäuser waren abgeschafft, jene Einrichtungen, von denen die älteren Mädchen an Festabenden fürchterliche Dinge tuschelten, lauter Sachen, für die sie die Kindertante mit monatelangem Geschirrspülen bestrafen würde, bekäme sie — oder jemand anderes — davon irgend etwas mit. Doch Settsimaksimins Krieger hatten den Priester des Angeketteten Gottes verbrannt, und sie würden, wenn sie es nicht verhindern konnte, auch Tre verbrennen. Der Gedanke daran ernüchterte sie, klärte ihren Verstand, und Kälte durchdrang ihren Körper.
Sie blickte auf. Settsimaksimin betrachtete sie, seine gelben Katzenaugen erforschten ihr Schweigen. Kori hatte eine flüchtige Anwandlung von Furcht, doch sie dachte an Tre und alles übrige, straffte ihren Rücken. Vielleicht war es möglich, der Gefahr hier einen Riegel vorzuschieben, möglicherweise hatte Settsimaksimin ein Einsehen ... Sie atmete einen Mundvoll Luft ein, ließ sie mit geblähten Bakken lautlos entweichen. »Eins beschäftigt mich«, sagte sie, rieb sich die Stirn und strich sich mit der Hand das Haar nach hinten, weil sie wieder eine Aufwallung von Furcht empfand. Er sah einfach zuviel. Wenn er nun auch auf Tre aufmerksam wurde? »Über vierzig Jahre lang hast du uns in Frieden gelassen. Ausgenommen hinsichtlich der Auslosung. Daran haben wir uns ja längst gewöhnt, und es war auch jedesmal eine aufregende Abwechslung, die Stadt aufsuchen und sich an drei Tagen mal richtig vergnügen zu dürfen. Du hast uns leben lassen, wie wir immer gelebt haben. Es gab keine Reibereien. Und dann hast du mit einemmal, ohne Ankündigung, deine Krieger in die Täler geschickt, und die Amortisdiener. Wir wollen sie nicht, wir brauchen sie nicht. Für uns sorgt der Angekettete Gott. Wir haben Priester, die Segen spenden, lehren und heilen, die die Vermählungen vollziehen. Jedenfalls hatten wir sie, bevor deine Krieger sie zu verbrennen anfingen. Warum? Dir ist von uns in keiner Weise geschadet worden. Wir taten bloß, was wir immer getan haben. Die Amortisdiener erteilten den Kriegern die Befehle, aber es waren deine Krieger. Warum hast du das geduldet?«
»Geduldet? Ach, ich konnte es nicht verhindern, Kori, vor Jahrzehnten gemachte Zusagen verwehrten mir das Eingreifen. Laß es mich erklären. Vor fünfzig Jahren entriß ich Silagamatys dem damaligen König.« Er lächelte sie matt an. »Zur Verfügung standen mir tausend Söldner, ein paar Dutzend Dämonen und die Fähigkeiten, die ich mir während eines Jahrhunderts harten Strebens angeeignet hatte. Ich eroberte die Stadt in einer einzigen Nacht, es gab kaum hundert Tote, unter ihnen war der König. Und doch hatte dieser Erfolg nahezu keine Bedeutung. Er hatte, was die Verhältnisse in Cheonea betraf, weniger zu sagen gehabt als der elendigste Bettler im Hafen. Die Parastes und ihre Vögte, die Kuppler, Schinder, Meuchelmörder und Diebe, sie beherrschten Cheonea, sie hatten in Silagamatys das Sagen, sie scherten sich ganz und gar nicht um mich und meine
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