Brann 02 - Blaue Magie
gewesen war; Macht, Selbstzucht, Vornehmheit, Schönheit gelangten darin zum Ausdruck. Er war ein Fremder, zudem ihr Feind, und doch empfand Kori in diesem Augenblick eine tiefere Verwandtschaft mit ihm als mit ihren Blutsverwandten. Ihr war zum Weinen zumute, sie fühlte sich ausgehöhlt, sie verspürte den Verlust von etwas, das sie nie wiederfinden sollte. Wäre bloß nicht Tre gewesen. Wäre es nicht um Tre gegangen ...
In dem kleineren Pentakel zeigte sich wieder jemand: Eine hochgewachsene Frau, das graue Haar zu einem lockeren Knoten geknüpft, über eine weiße Bluse ein weites Gewand aus schwarzer Seide gezogen. Sie hatte ein hageres, strenges, recht fades Gesicht, lange Augen, schmal und braun wie Schokolade, und zur Zeit schauten sie keineswegs freundlich drein, taten sie es je? Der dünne Mund war verkniffen. Sie sah Settsimaksimin, und da entspannte sie sich und lächelte, ihre Miene bewies eine gewisse Zuneigung zu dem Magier. Die schokoladenbraunen Augen wurden noch schmaler, wie um ein Lächeln zu bekunden. »Du«, sagte sie. In ihrer Stimme klang ein ähnlicher Zauber wie in Settsimaksimins Stimme mit, es schwangen Silbertöne und Gesang darin mit. »Warum muß es immer mitten in der Nacht sein ?«
Settsimaksimin lachte und wies mit der Hand auf Kori.
»Ich habe eine neue Schülerin für dich, Shahntien Shere. Nimm sie zu dir, unterrichte sie und halte sie mir vom Hals.«
»Ach, so schlimm ist sie? Du weckst mein Interesse.«
»Das dachte ich mir.«
»Zahlst du für sie, oder wie ist das?«
»Ich zahle. Würde ich sie dir sonst aufdrängen? Ich kenne dich, meine Liebe.« Er veränderte seine Sitzhaltung, wirkte auf schläfrige Weise belustigt, von seiner wirklichen Müdigkeit ließ er sich nichts anmerken. Kori verfolgte das Gespräch mit Staunen, Furcht, Hoffnung, widerwilliger Achtung. »Hundert Goldstücke für das Jahr, ferner einen Aufschlag für bestimmte zusätzliche Leistungen. Sie ist ...« Er sah Kori an, runzelte die Stirn. »... ungefähr dreizehn, es geht also um zehn Jahre Bettstatt, Verköstigung und Unterweisung.« Sein Blick fiel auf das Nachthemd, das in schweren Falten an ihrem mageren Körper hin. »Und Kleidung.«
»Für dich, mein alter Freund, und nur für dich, will ich's tun.«
»Hah!« Settsimaksimin lachte dunkel auf. »Sie wird dir allen Anlaß zum Stolz liefern, Shahntien.«
»Du hast von einem Aufschlag gesprochen.«
»Die kleine Kori — ihr Name lautet Kori Piyolss — ist im Augenblick nicht allzu glücklich über ihren Abschied von daheim. Sie ist gerissen, hat mehr Mut als Verstand, und obendrein ist sie trotzig. Das erste Mal, wenn sie dir wegzulaufen versucht, gib ihr die Peitsche zu schmecken.
Versucht sie's ein zweites Mal, und du erwischst sie, bring sie um. Das sind die Bedingungen für den gebotenen Aufschlag. Hast du's gehört, Kori?«
Fest preßte Kori die Lippen zusammen, ballte die Hände zu Fäusten. »Ja.«
»Siehst du's, Shahntien? Schon brütet sie Pläne aus.«
»Ich seh's. Wie schlau ist sie? Hinterlistig genug, um friedlich zu bleiben und zu lernen, bis sie weiß, wie sie ausreißen kann, ohne gefaßt zu werden?«
»O ja. Dennoch baue ich darauf, daß du klüger als sie bist, Shahntien, und sie für die volle Dauer von zehn Jahren bei dir behältst.«
»Soll ich sie sogleich mitnehmen?«
»Unverzüglich.« Er wandte das Gesicht Kori zu. »Nutze die Gelegenheit, kleine Kori. Und denke an das, was ich dir gesagt habe. Dein Bruder wird für immer schlafen, wenn du ihn nicht erlöst, also überlege dir sehr, sehr gut, was du anstellst.«
»Ich soll jetzt fort?« Kori grub die Fingernägel ins weiche Holz der Sitzbank. »Und was ist ...«
»Was hier geschieht, betrifft dich nicht länger, Kind. Alles Gute.«
Eine Geste, ein mehrsilbiges Wort, und Kori stand im anderen Pentakel, dicht neben der Frau, die ihr einen mageren, aber kräftigen Arm um die Schultern legte. Noch eine Gebärde, ein zweites Zauberwort, und dann befanden beide sich andernorts.
Maksim trug die Sitzbank in die Ecke zurück und stapelte die Schriftrollen wieder darauf. Er straffte den Rücken, reckte sich nochmals, rieb sich die Brust. Er schnitt eine Grimasse, ging zum Wandschrank, schenkte sich etwas von seinem herzstärkenden Likör ein, trank, genehmigte sich anschließend ein Gläschen Branntwein, um den Geschmack fortzuspülen. An die Wand gelehnt, wartete er, bis das Mittel gewirkt hatte, dann versetzte er sich in seine Schlafkammer, um sich die dringend
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