Brann 02 - Blaue Magie
Meeresfluten. Im Osten glomm längs der Gipfel ein geisterhaftes Licht, und die schneebedeckte Spitze des Isspyrivo wies einen fahlen Schimmer auf, von dem man hätte meinen können, er käme aus seinem Inneren. Brann blieb liegen, bis die Kälte im nassen Sand in ihren Leib eindrang und die Helligkeit im Osten mehr war als bloß eine Andeutung.
Sie wälzte sich herum, kniete, stand auf. Während sie sich abklopfte, hörte sie Hufschlag, der sich durch den Sand näherte, fühlte das Jucken ihrer Haut, das jedesmal die Wiederkehr der Kinder ankündigte. »Es werden Reittiere gebracht«, sagte sie. »In einer Viertelstunde brechen wir zu den Bergen auf, und keinen Augenblick später.«
Yaril und Jaril fanden sich mit drei Maultieren ein, zwei waren braun, das dritte war ein blaugraues Tier. Sie trugen Sättel und Zaumzeug, hatten an letzterem lange, geflochtene Stricke zum Führen befestigt, waren mit Wasserschläuchen beladen, und das blaugraue Vieh beförderte zudem hinterm Sattel einen halbvollen Sack Körnerfutter. Brann runzelte die Stirn. »Jetzt verstehe ich, weshalb ihr so lange gebraucht habt.«
»In dem Ort war alles still und ruhig.« Jarils Blick huschte hinüber zu der reglosen, düsteren Gestalt des Zauberers, und fiel dann wieder auf Brann. »Weil wir beschlossen hatten, drei Goldstücke als Entschädigung zu hinterlegen, von denen eins genügt, um zehn Maultiere und dazu ein Gehöft zu kaufen, und wir nicht wußten, wie gut sie« — mit einer ruckhaften Geste des Daumens deutete er auf Daniel und Ahzurdan — »zu reiten verstehen, haben wir uns überlegt, wie wir ihnen den Ritt nach Möglichkeit erleichtern könnten. Wir sind in einen Stall eingedrungen, dort haben wir die Ausrüstung gefunden, es gab keinerlei Schwierigkeiten. Warum also hätten wir darauf verzichten sollen?«
Während die Kinder in den Lüften kreisten, um von droben die Umgebung unter Beobachtung zu halten, begab sich Ahzurdan, nachdem er sich zusammengerissen und aufgerafft hatte, zur Seite, beschäftigte sich mit magischen Schutzvorkehrungen. Brann und Daniel Akamarino verteilten das Gepäck und die Vorräte auf die drei Maultiere, schnürten die Packen fest. Als sie fertig waren, lugte ein Stückchen Sonne um den Berghang des Isspyrivo; er schien einen roten Bart zu haben, das Sonnenlicht ähnelte einem Tropfen Blut, der aus einem Nadelstich sickerte.
Sie folgten der Richtung, die ihnen die beiden Falken wiesen, ritten nahezu den ganzen Vormittag lang durch mit Sträuchern bewachsene Vorhügel. Der Morgen war ruhig und heiß, die Maultiere, die gleichmäßig dahintrotteten, wirbelten Staubwolken und verdorrtes Laub auf. Zur Mittagszeit machten sie eine kurze Rast, verzehrten Dörrfleisch und Hartbrot, tranken dazu aus den Schläuchen lauwarmes Wasser von herbem Geschmack. Selbst Daniel trank nicht von Tungjiis Wein, ihm war es zu warm, er schwitzte zu sehr, und er hatte sich zu stark wundgeritten, um Wein zu trinken (allerdings ging er hinter einen Strauch, ließ die Hose hinunter und rieb sich eine Handvoll Wein auf die aufgescheuerten Oberschenkel).
Am Morgen war Ahzurdan ständig auf einen neuen Anschlag Settsimaksimins gefaßt gewesen. Aber es geschah nichts. Er schlenderte auf ihrem kleinen Lagerplatz umher, einer mit Gras bewachsenen Fläche, die sie sich für ihre Rast ausgesucht hatten, und beobachtete die Luftgeister, die — für seine Begleiter unsichtbar — hin- und herschwirrten, endlos zwischen ihnen und Settsimaksimin eine Schleife flogen. Noch immer geschah nichts.
Sie setzten den Ritt fort. Während Yaril für sie den Weg festlegte und Jaril in größerem Umkreis die Gegend erkundete, sich als Späher betätigte, verließen sie die Vorhügel und gelangten aus dem Buschland in den Bergwald, wo die Bäume höher wuchsen. Das Gelände stieg steiler an, wurde schwieriger begehbar, während sie immer weiter über die Höhe des Meeresspiegels hinausgelangten.
Ahzurdan schwang sich aus dem Sattel und lief halb taumelnd seiner Begleitung entgegen; er fuchtelte mit den Armen, um sie aufzuhalten. »Brann«, schrie er, »zu mir! Daniel, halt die Maultiere!« Er richtete seine geistige Aufmerksamkeit auf seine Zauberkräfte, seine Hände machten erst Kreise, dann streckte er sie, spreizte die Finger. »Bilaga anaaaa nihi ta yi ka i gy shee ta a doo le eh doo ya ah tee«, sang er, während sich rundherum die Erde wellte, sich aufbäumte, hohe Bäume niederstürzten, die Wurzeln entblößt, weil das Erdreich
Weitere Kostenlose Bücher