Brann 03 - Das Sammeln der Steine
nicht zu schaden. Aber verspürst du dennoch Besorgnis, zwei Reihen weiter ist ein Brunnen, in dem du deine Hände waschen kannst.« Brann lächelte Carup zu. »Ich vermute, du hast Elissy — so hieß sie doch, oder? — nur begleitet, um Sachen zu tragen, also werde ich gern den Tee bezahlen.«
Sie hielten an dem Brunnen, und Carup Kalan wusch sich die Hände mit einem Nachdruck, der Brann beim Zuschauen ein Lächeln abnötigte. Sicherlich hatte Carup von ihren heilerischen Leistungen gehört und fühlte sich durch ihre Gegenwart beruhigt, aber sie mochte offensichtlich keine Wagnisse eingehen, die sich vermeiden ließen.
Verstreut gab es auf dem Marktplatz da und dort einen Teeausschank, jeder umfaßte im wesentlichen eine winzige, dunkle Teeküche, einen Schanktisch und eine Anzahl Tische unter einem verbeulten Segeltuchdach.
Brann führte ihr ahnungsloses Opfer zur nächstgelegenen dieser Einrichtungen und setzte es an einen Tisch, ging dann Tee und Plätzchen holen.
Indem sie die vollbesetzten Tische umrundete, das Tablett hocherhoben, Grüppchen von im Kommen und Gehen begriffenen Kunden gleichsam umtänzelte, brachte Brann Plätzchen und Tee zu Carup an den Tisch, winkte ab, als Carup aufspringen und ihr das Tablett abnehmen wollte. Der Tee war heiß und stark, die Plätzchen waren kusprig braungebackene süße Honigwaffeln. »Deinem Namen nach mußt vom Tabaga-See stammen.« Brann häufte etliche Plätzchen auf ein Stück braunen Papiers, schenkte sich und dem Mädchen Tee ein.
»Ja, ja.« Flüchtig wirkte Carup überrascht. »Am Westufer des Tabaga-Sees, in der Nähe eines Dorfs namens Pattan Haria, hat die Sippe der Ash-Kalaps ein Gehöft.« Sie schlürfte Tee. Er war noch zu heiß, sie fuhr zusammen, als sie sich den Mund verbrannte, doch schien ihr der Schmerz wenig auszumachen. Nachdem sie den Becher geleert hatte, stellte sie ihn ab und starrte hinein; ihr Gesicht zuckte infolge ... infolge irgendeiner Gemütsbewegung. Mit dem Muttermal war sie von Geburt an offenkundig schwer geschlagen. Das Mal verzerrte ihr gesamtes Mienenspiel, verunmöglichte jeden eindeutigen Gesichtsausdruck. Ihre Kummermiene neigte zum Lächerlichen, ein Lächeln fiel scheußlicher aus als ein Zähnefletschen. »Mein Vater hat mich verkauft, als ich acht Jahre alt war«, flüsterte sie. Ihre Finger zitterten, während sie das Mal auf ihrer Wange betastete, mit einem Ruck senkte sie die Hand, fing ein Plätzchen in klebrige Krümel zu zerbröseln an. »Er sagte, niemand würde mich heiraten oder nur zum Wärmen in sein Bett nehmen wollen. Ich sei zu häßlich. Er meinte, ich würde ihm niemals einbringen, was er an Kosten für Nahrung und Kleider für mich aufwenden müßte, darum wär's besser, er sähe schnellstens zu, für mich an Gewinn zu erlangen, was sich kriegen ließe. In der Stadt, so behauptete er, gäb's Entartete, die fänden mich vielleicht ...« Sie nahm ihren Becher, den Brann inzwischen aufgefüllt hatte, trank dampfend-heißen Tee. »Fänden mich vielleicht...« Sie schluchzte. Ihre Hand schlotterte, aber Carup machte sich die Mühe, den Becher vorsichtig abzusetzen; das Gefäß blieb heil. Kein Tropfen Tee wurde verschüttet. »Verzeih mir!«
»Nein, Kind, nicht. Sprich getrost aus, was du sagen wolltest.« Brann nahm eine Hand Carups zwischen ihre Hände. »Dem zu lauschen, was ich vernehme, ist das mir von den Göttern beschiedene Los«, versicherte Brann, so wie sie es oft — in Übereinstimmung mit ihrem Auftreten als Jantria, als Gottessucherin und Weise Frau — auch den Frauen beteuert hatte, die sie in ihrem Haus aufsuchten. »Sag also, was du sagen mußt, und tu's in der Gewißheit, daß ich dir Gehör schenke.« Sie wartete, spürte Carups innere Anspannung, ihr Bedürfnis zu sprechen und die gleichzeitige Furcht, dadurch in ernstere Schwierigkeiten zu geraten. Für Brann war es nicht leicht, das Mädchen zu verstehen. Sie selbst führte ein wirres und oft gefahrvolles Leben; meistenteils jedoch war es ihr gelungen, nicht nur Erleidende der Ereignisse zu sein, sondern sie nach ihrem Willen zu beeinflussen. Wiederholt hatte die eine oder andere Gottheit in ihr Dasein eingegriffen, sie mal da, mal dort hingescheucht; doch auch unter solchen Umständen hatte sie sich stets ein gewisses Maß an Freiheit ertrotzen können. Bei Carup hingegen merkte sie, daß es sich anders verhielt, sie in Verhältnissen viel beschränkterer Entscheidungsfreiheit lebte; sie konnte auch die Ursachen dafür erkennen,
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