Brann 03 - Das Sammeln der Steine
nicht geworden, eher ein Aufkreischen der Verzweiflung. Sie schloß die Lider, versuchte an gar nichts zu denken. Doch sie konnte es nicht ertragen, nicht zu sehen, was sich ereignete, selbst wenn das Unheil geradewegs auf sie zueilte, also öffnete sie die Augen wieder, beugte sich hinüber zu Jaril. »Wärst du auch ohne Yaros Mithilfe eine Brücke zu ihr zu schlagen imstande?« raunte sie. Bei ihrem ersten Zusammenprall mit Amortis waren Yaril und Jaril zu einer Art von nichtstofflichem Schlauch verschmolzen, der Brann mit der Göttin verband, und durch diese Verbindung hatte Brann ihr einen beachtlichen Teil ihrer Kräfte entzogen und in die Wolken verpuffen lassen, so daß sogar Amortis' Körperhaftigkeit in Mitleidenschaft geraten war, und die Göttin erlitt einen derartigen Schrecken, daß sie die Flucht ergriff wie eine Ratte mit entflammtem Schwanz.
Jaril lachte, sein Lachen bestand aus leisen Lauten der Selbstzufriedenheit, dem Schnurren einer Katze nicht unähnlich. »Sicherlich«, antwortete er. »Es wird aber nicht nötig sein.«
Seine Gelassenheit begann Brann zu verdrießen. Sie straffte sich, krampfte sich innerlich zusammen, als Amortis die Richtung wechselte und auf die Barke zuschritt.
Die Göttin bückte sich über den Fluß, senkte ihre riesige Hand vor der Barke in die Fluten. Aus der Nähe glichen ihre Finger nach oben zulaufenden Säulen goldgelben Lichts, unstofflich wie Rauch, jedoch mit allen Feinheiten ausgestattet, Poren und Fingerabdrücken, und man sah die Umrisse von Fingernägeln, bevor sie ins Wasser tauchten, das ungehemmt weiterfloß, als wären sie gänzlich körperlos.
Die Barke schwamm in die Finger, durchquerte sie. Brann spürte kurz so etwas wie Reibung, als sie durch einen der Finger glitt, doch war das Gefühl so schwach, daß sie es sich möglicherweise nur einbildete.
Sie hörte einen Laut, den sie für ein Schnauben der Geringschätzung hielt, drehte trotz ihrer sonstigen Erstarrung den Kopf weit genug, um sich umschauen zu können. Amortis hatte sich aufgerichtet. Sie schritt davon, ohne die Barke noch eines Blicks zu würdigen.
»Ich hab's ja gesagt«, murmelte Jaril. »Er will nicht mehr bei ihr sein. Er beschützt uns.« Er gähnte, streckte sich auf seiner Decke aus und versank in seine einer Bewußtlosigkeit sehr ähnliche Art von Schlummer.
Mißmutig betrachtete Brann ihn. Für ihre Witwenrolle wäre es jetzt erforderlich gewesen, die andere Decke über ihn zu breiten; einen Augenblick lang kaute sie auf ihrer Lippe, spähte zur Sonne empor. Eine kleine Nachlässigkeit will ich wagen, überlegte Brann, er soll soviel Kraft aufnehmen, wie er kann, er wird sie brauchen, der arme Kleine.
8 Nochmals drei Tage lang fuhr die Barke durch die außerordentlich weiten Windungen des breiten Kaddaroud. Noch zweimal sah man Amortis vorübereilen, beide Male erübrigte sie für den Fluß und das Schiff keinerlei Aufmerksamkeit, und jedesmal sah man ihr größeren Zorn an. Entsetzt duckten sich die Pilger unter ihre Decken. Man kannte die Göttin für ihre Angewohnheit, dies oder jenes einfach auszulöschen, was ihr in die Quere geriet, wenn sie Zorn empfand, und wenn ihre Wut sich zu unerträglicher Heftigkeit steigerte, schlug sie blindlings zu, dann mochte alles einen Wutausbruch verursachen, eine Mücke auf ihrem Zeh, ein Wechseln des Winds, eine zu unbestimmbare Kleinigkeit, als daß man sie hätte beschreiben können. Und wer ihr während ihres höchsten Zorns in den Weg gelangte, mußte damit rechnen, als Asche vom Wind verweht zu werden. Sie konnten nur beten und hoffen, daß sie sie nicht bemerkte.
Sie fielen ihr nicht auf. Nachdem sie zum zweitenmal vorbeigestapft war, wurde sie nicht mehr gesichtet.
Der Schiffsherr der Barke ließ die Fahrgäste in der Nähe der Raststätte am Zusammenfluß von Kaddaroud und Sharroud an Land gehen, nahm eine neue Pilgerschar an Bord, veranlaßte die Treidelochsen anzuspannen und kehrte flußaufwärts nach Havi Kudush zurück.
Der Rasthof Izadinamm war eine sehr große Einrichtung, mehrere hundert Gäste konnten darin unter einigermaßen behaglichen Verhältnissen wohnen. So spät in der Wallfahrtszeit waren kaum fünfzig Gäste anwesend, drei kleinere Häuflein Pilger, die mit Barken aus Kudush wiedergekehrt waren und nun auf Flußboote warteten, um mit ihnen nach Norden oder Süden zu fahren, heim in ihr gewohntes Alltagsleben.
Fünf Tage nach Branns und Jarils Unterbringung im Rasthof Izadinamm machte an der nahen
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