Brann 03 - Das Sammeln der Steine
eingeschreint lag, doch Kori stellte bei sich eine starke Abneigung dagegen fest, sich dem Kristallblock zu nähern. Sie brauchte lediglich die Hand an den Klotz zu legen, und schon war Tre frei, dann konnte sie ihn Frunzacoache übergeben, und die ganze leidige Angelegenheit war überstanden. Doch statt es zu tun, drehte sie sich langsam im Kreis; der Lichtschein der Laterne drang, bedingt durch den unregelmäßigen Umriß der Höhle, mal weiter, mal weniger weit. Überall hingen, würdevoll geschwungen, verschiedenerlei Ketten, die oberen Enden an einer so hohen Höhlendecke aufgehängt, daß sie außerhalb des Laternenscheins im Dunkeln blieb, während die unteren Enden, etwa mannshoch überm Felsboden, an einer Seitenwand befestigt waren; Ketten kreuzten und kreuzten sich im Raum über Korimeneis Kopf, eiserne Ketten, geschmiedet auf dem Amboß der SchmiedPriester, vor so langer Zeit angebracht, daß alle außer die untersten Glieder Tropfstein bedeckte, hölzerne Ketten, geschnitzt mit den Messern der Zimmermann-Priester, Ketten aus Kristall und gemasertem Marmor, gehauen von den Steinmetz-Priestern, Jahrhunderte der Arbeit, die man der Höhle zum Geschenk gemacht hatte, die die Höhle in sich aufnahm, gleichsam verdaute, indem langsam, langsam, langsam eine Schicht Tropfstein sich über all die Ketten ausbreitete. Nein, Kori konnte keine Veränderung erkennen. Falls der Tropfstein sich einen Zoll weiter ausgebreitet hatte, bedurfte es besserer als ihrer Augen, um es zu bemerken. Sie beendete die Drehung, indem sie sich dem Altar des Angeketteten Gottes zuwandte, einer viereckigen Holzplatte, die auf Steinblöcken von etwa einem Fuß Höhe ruhte, überwölbt von einem auf kunstvoll geschnitzte, hölzerne Pfosten gestützten Baldachin aus weißer Jade, so dünn und durchscheinend wie feinstes Porzellan. In der Mitte der Holzplatte befand sich — neben der Kedronholz-Truhe, in der Tre Harras Auge gefunden und Kori gegeben hatte, damit sie es benutzte, um den Aufenthaltsort der Seelentrinkerin zu erfahren — der Kristallklotz. »Vorsicht bei jeder Tat«, sagte Korimenei laut. »Je machtvoller die Handlung, um so unvorhersehbarer das Ergebnis.«
Danny berührte sie an der Schulter. »Würd's dir was ausmachen, uns zu verraten, wo wir hier sind?«
»Halt das, ja?« Kori reichte ihm die Laterne. »Siehst du den Block da?«
»Kaum zu übersehen.«
»Der Knabe darin ist mein Bruder. Du hast gesagt, du kannst dich an ihn entsinnen.«
»Ach. Und wer ...?«
»Settsimaksimin. Er wollte sicherstellen, daß ich an der Zauberschule bleibe.«
»Aber du bist inzwischen von der Schule abgegangen.«
Felsrawg fröstelte. »Hier ist's kälter als in 'ner Geisterhöhle. Tu endlich, was du zu tun hast.«
»Halt dich raus, Felsa«, sagte Danny, »du bist nur als Reisebegleitung bei uns, du brauchst sie nicht mit deiner Ahnungslosigkeit zu belästigen.«
»Tsss! Mit deiner kann sie auch nichts anfangen, glaub ich, alles was sie von dir will, ist dein ...«
»Haltet den Mund, ihr beiden.« Korimenei streifte die Handschuhe ab, steckte sie in die Manteltasche, hob Ailiki von ihrer Schulter und gab sie in Dannys Obhut.
»Bleib bei ihm, Aili mein Liki. Wartet.« Sie schöpfte tief Luft, atmete bedächtig aus. Die dürre kleine Diebin hatte recht, ich sollte tun, was ich tun muß, anstatt saumselig herumzustehen. Sie schritt zu dem Altar, packte einen Pfosten, schwang sich auf die Altarplatte. Sie atmete noch einmal durch, streckte den Arm aus und legte die Handfläche auf den warmen, seidenweichen Kristall.
Er erbebte, als wäre er etwas Lebendiges, dann hatte Kori nicht mehr das Gefühl, etwas zu berühren. Sie konnte ihn noch sehen, aber nicht fühlen. Er zerfloß, schmolz rings um Trago, so daß seine Gestalt sich behutsam auf das polierte Holz der Altarplatte senkte.
Als der Kristall völlig verschwunden war, reckte Koris Bruder Arme und Beine, gähnte und öffnete die Augen. Er lag auf der Seite, hatte Korimenei den Rücken zugekehrt. Er schaute sich nicht um, sondern stand auf, trat zu der Truhe und nahm die Kristallkugel heraus, Harras Auge. Endlich drehte er sich um und sah Korimenei. »Wer bist du?«
»Ich bin Kori, Tre.«
»Du kannst nicht Kori sein, du bist 'n altes Weib.«
»Erinnerst du dich an nichts?«
»Ich erinnere mich ... ich erinnere mich, ich habe an der Auslosung teilgenommen. Kori zog blau, ich zog gar nichts. Sie ist weggeführt worden. Ich bin mit den anderen Kindern in die Herberge
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